Ferien mit Mama und andere Katastrophen
Aktion war natürlich der Gesprächsstoff beim Frühstück. Als wir am Büfett erschienen, steckten alle die Köpfe zusammen. Nur Zadek zwinkerte mir aufmunternd zu. Beschämt schlich Mama mit ihrem Teller zu unserem Tisch. Ich fand nicht, dass es irgendwas zum Schämen gab und streckte den Rücken durch.
Beim Essen hielt ich vergebens nach Nikos Ausschau. An diesem Morgen räumte ein alter Grieche das dreckige Geschirr ab. Vielleicht musste jetzt sein Opa für ihn einspringen? Der alte Mann warf mir jedenfalls einen komischen Blick zu, als er das Zeug stöhnend in die Küche schleppte.
Mir verschlug es ja selten den Appetit, aber ich war einfach zu müde zum Essen. Genau genommen hatte ich keine vier Stunden geschlafen. Doch Mama brauchte ich mit meinem Elend nicht zu kommen. »Selbst schuld«, würde sie sagen. »Hat dich ja niemand gezwungen, die halbe Nacht spazieren zu gehen.« Also schwieg ich. Aber irgendwas schien auch Mama heute die Laune verdorben zu haben, und das lag nicht allein an ihrer gestörten Nachtruhe. Stöhnend schob sie mir den schon völlig verknitterten Reiseplan neben den Teller.
Na Hilfe, dachte ich nur, als ich die Tagesroute studierte. Wir wanderten heute durch die längste Schlucht Europas. Dabei konnte ich mich so schon kaum auf den Beinen halten. Und auch Mama mit ihren Blasenfüßen war zu so einer Mammuttour kaum in der Lage.
»Wir bleiben einfach im Hotel«, schlug ich vor. Ich hatte nur mein Bett im Sinn.
Doch Mama schüttelte den Kopf. »Hier kommen wir im Leben nie wieder hin, Sophie. Das können wir uns nicht entgehen lassen.«
Ihre Logik war manchmal noch schräger als meine. Der achtzehn Kilometer lange Geröllweg, der uns erwartete, war schon für mich eine Zumutung, doch Badelatschenträger würden das auf keinen Fall überleben.
»Schau doch mal, wie schön es da ist«, jammerte sie und zeigte auf das kleine Bild mit den weißen Bergen im Hintergrund.
Keine Ahnung, was daran schön sein sollte. Eine Schlucht war eine Schlucht. Außerdem war mir ganz egal, wohin wir heute fuhren. Vielleicht sah ich Nikos nie wieder. An dieser Stelle sank meine Stimmung auf den absoluten Tiefstpunkt. Denn diese Variante hatte ich noch gar nicht in Betracht gezogen. Das war mein Ende, so oder so.
Mama schien zu spüren, dass ich kurz vor der Totalverweigerung stand, also trieb sie mich vom Tisch hoch. »Komm, wir gehen noch mal auf unser Zimmer.«
Als ob das etwas ändern würde.
Doch als wir die Treppe hochkamen, stieß sie plötzlich einen kleinen Schrei aus. Wartete Nikos etwa vor unserem Zimmer? Ich drängte mich an ihr vorbei, doch da war kein Nikos. Vor unserer Zimmertür standen Wanderschuhe. Zwei Paar. Marke Klobetrotter. Grau und mit dicken Profilsohlen. Keine Ahnung, wie die hierherkamen. Ich hätte sie ja ignoriert und wollte schon schnurstracks Richtung Bett laufen, doch Mama ist in solchen Sachen weitaus praktischer als ich.
»Probier mal an«, sagte sie und hielt mir das kleinere Paar hin.
Stöhnend quälte ich mich in die Dinger hinein. Sie passten wie angegossen. Und auch das andere Paar schien wie für Mama gemacht zu sein. Jetzt sahen wir aus wie die Lehrer, nur unsere kurzen Röcke wirkten zu diesen Schuhen etwas komisch.
»Los, die stellen wir wieder hin«, sagte ich, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass uns hier irgendwer Schuhe schenken wollte.
»Kommt gar nicht infrage«, erwiderte sie entschlossen, »die behalten wir an.« Und dabei schwang in ihrer Stimme dieses Das-tu-ich-alles-nur-für-dich mit, was jeden Widerstand von vornherein ausschloss.
Mir war jetzt schon heiß in den dicken Tretern, die mühelos jeden Hässlichkeitswettbewerb gewonnen hätten. Vielleicht würde ich ja auf dieser Wanderung an Hitzschlag sterben oder einen Hang hinunterrollen. Aber Hauptsache, es war für meine Zukunft! Als ich mein Strandkleid wortlos gegen kurze Hosen tauschte, strahlte Mama. Na, wenigstens eine von uns hatte wieder gute Laune.
Auf dem Weg zum Bus begegneten wir Kubasch. Obwohl er genauso wenig geschlafen hatte wie ich, war er total munter. Während der Fahrer noch den Motor anließ, überschüttete er uns schon mit so interessanten Informationen, wie dass es über vierhundertfünfzig Pflanzenarten in der Schlucht gibt, Partisanen dort im Weltkrieg herumgeballert haben, um Kreta gegen die Nazis zu verteidigen, und die achtzehn Kilometer lange Samaria-Schlucht heute ein Nationalpark ist.
Nach der zweiundzwanzigsten Kurve, die uns der Bus in die Berge
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