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Ferien mit Mama und andere Katastrophen

Ferien mit Mama und andere Katastrophen

Titel: Ferien mit Mama und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kasch
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vorhin ausprobiert hatte. Gleich würde ich in meinem Bett liegen.
    Doch unter unserem Balkon erwartete mich ein Desaster. Die Strickleiter war weg! Zuerst dachte ich, ich hätte mich im Zimmer geirrt und lief an der Fensterfront entlang. Doch nebenan hing Zadeks Wander-Shirt zum Trocknen über der Balkonbrüstung. Die Strickleiter war tatsächlich verschwunden. Jetzt hatte ich echt ein Problem.
    Hatte Mama die Leiter entdeckt? Doch in unserem Zimmer war alles dunkel, also musste sie noch schlafen, ansonsten wären hier schon Polizei und Feuerwehr unterwegs. Mama schied also aus. Hatte Zadek mir etwa einen Streich gespielt? Ich traute ihm ja einiges zu, das nun aber doch nicht.
    Plötzlich fiel mir die Lösung meines Problems ein. Der Nachtportier! Der hatte mir mit seinem Ersatzschlüssel ja schon einmal das Leben gerettet. Doch als ich gähnend die Hotellobby betrat, war ich auf einen Schlag wieder hellwach. In den tiefen weißen Ledersesseln, die um den Springbrunnen herumstanden, saß Mama zusammen mit Kubasch, Zadek, einigen anderen aus der Reisegruppe, dem Küchenchef und wahrscheinlich auch dem Hoteldirektor. Polizei und Technisches Hilfswerk waren zum Glück nicht dabei.
    Aber der Sinn zum Scherzen verging mir augenblicklich, als Mama mit hochrotem Gesicht aus ihrem Sessel schoss und wild mit ihren Armen durch die Luft fuchtelte. Es dauerte einen Moment, ehe sie das erste Wort herausbrachte: »Sophiie!«
    Wie angenagelt blieb ich an der Eingangstür stehen. Nun wurde auch der Rest des Begrüßungskommandos lebendig. Zuerst sprang Kubasch auf, dann Zadek. Alle waren offenbar erleichtert, als sie mich sahen.
    Anders Mama. Ihre rote Gesichtsfarbe hatte jetzt zu einem fahlen Weiß gewechselt. »Kannst du mir mal erklären, wo du um diese Uhrzeit herkommst?«, fauchte sie.
    Sollte ich etwa sagen »vom Friedhof«? Das würde die Sache nur verschlimmern, deshalb erwiderte ich schnell: »vom Spazieren.«
    »Lüg mich nicht an!«
    So wütend hatte ich meine Mutter noch nie erlebt.
    Da mischte Zadek sich ein. »Jetzt ist sie ja wieder da. Beruhigen Sie sich doch. Sophie ist ein sehr vernünftiges Mädchen, Frau Fischer.«
    Mama drehte sich um und musterte Zadek. »Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen sie doch gar nicht.«
    »Doch.«
    »Doch?« Nun schaute Mama irritiert zu mir.
    »Ich bin ihr Mathelehrer.«
    »Das wird ja immer schöner«, schimpfte sie. »Haben Sie etwa meiner Tochter erlaubt, sich vom Balkon abzuseilen?«
    »Ich habe es ihr nicht erlaubt.«
    »Aber auch nicht verboten! Ich denke, Sie sind Lehrer!«
    Zadek fasste sich an den Kopf. »Ich bin im Urlaub, meine Gnädigste.«
    »Typisch«, brummelte Mama. »Lehrer, aber bloß keine Verantwortung tragen.«
    Wenn sie wüsste, wie unrecht sie ihm damit tat. Unbemerkt war ich ein paar Schritte in Richtung Treppe vorgerückt. Denn ich wollte mich diesem Tribunal so schnell wie möglich entziehen.
    Doch da nagelte mich Mamas nächste Frage fest. »Wenn wir uns schon die halbe Nacht wegen dir um die Ohren schlagen, dürften wir dann wenigstens den Grund für deinen mitternächtlichen Spaziergang erfahren?«
    Ohne die Wahrheit kam ich nicht aus dieser Nummer raus. Das wusste ich jetzt. Also stotterte ich: »I-i-ich … war mit … Nikos unterwegs.«
    Worauf den Küchenchef ein scharfer Blick des Hoteldirektors traf.
    »Dieser … dieser Kellner etwa?« Mama schnappte nach Luft.
    Ich nickte. Es entstand eine unangenehme Stille. Mehr würde ich auf keinen Fall erzählen. Der Friedhof blieb unser ewiges Geheimnis.
    Schließlich räusperte sich der Hoteldirektor. »So etwas wird nicht mehr vorkommen, Frau Fischer«, sagte er mit ernstem Gesicht.
    Ich wusste ja nicht, was er unter so etwas verstand. Aber dass Nikos jetzt eine Menge Ärger bekam, war auch mir klar. Das hatte ich nicht gewollt.
    »Ich schlage vor«, sagte Kubasch, »wir gehen jetzt alle ins Bett. Es ist ja überhaupt nichts passiert.«
    Mama riss die Hände hoch, ließ sie dann aber müde sinken. Ich lächelte Kubasch dankbar zu. Das war doch mal ein vernünftiger Vorschlag. Die kleine Versammlung am Springbrunnen löste sich langsam auf, jeder verschwand gähnend in eine andere Richtung. Am Ende war ich mit Mama allein.
    Erschöpft schaute sie mich an. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht, Sophie.«
    »Tut mir leid«, sagte ich leise.
    Sie seufzte. »Geh das nächste Mal wenigstens durch die Tür.«

Ob es überhaupt ein nächstes Mal geben würde, das wussten allein die Götter. Meine nächtliche

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