Ferien mit Mama und andere Katastrophen
schaute mich nur fragend an. Vielleicht hatte er mich ja nicht richtig verstanden und so wiederholte ich es noch einmal auf Englisch. Da nahm er meine Hand und schaute mich ernst an.
Jetzt kommt’s, dachte ich. Er macht mit mir Schluss, mitten auf der schönsten Ferieninsel der Welt. Was hatte ich mir auch dabei gedacht! Nikos war sechzehn. Was sollte er da mit einer Vierzehnjährigen? Es wurden die schlimmsten dreißig Sekunden meines bisherigen Lebens, bis er schließlich sagte: »Ich fünfzehn.«
Wir prusteten im selben Moment los. Als ob das Geständnis dieser kleinen Lüge endlich seine Zunge gelöst hatte, sprudelte er wie ein Wasserfall. Er war gar nicht mehr zu bremsen und erzählte, wie Kubasch den Höhlenausflug schon gleich nach unserer Wanderung durch die Schlucht geplant hatte. Beleidigt schaute ich aufs Wasser. Hätte ich mir ja denken können, alles nur wegen Mama.
»Wolfgang mich fragen euch abholen«, sagte Nikos aufgeregt.
Kubasch? Der hatte mir Nikos doch am meisten ausreden wollen.
»Wollen wir fahren Stück?«, fragte Nikos.
Was denn für ein Stück? Oh Mann, ich kapierte gerade die einfachsten Sachen nicht mehr. Hatte Kubasch Nikos meinetwegen gefragt? Allein meinetwegen? Und da sah ich endlich das kleine Motorboot, das unten am felsigen Ufer befestigt war. Damit war er also hergekommen. Er war nicht vom Himmel gefallen, Kubasch hatte ihn extra für mich bestellt. Aber warum denn das auf einmal?
Als ich um die Felsecke zur Taverne hochschaute, sah ich ihn neben Mamas Schaukelstuhl knien und ihre Hand halten. Und da wusste ich, warum. Es hatte ihn voll erwischt. Lächelnd winkte er mir zu, als ich mit Nikos hinunter zum Boot kletterte.
Als Nikos den Bootsmotor anwarf, hörte ich Mama kurz aufschreien: »Sophie!« Doch ich drehte mich nicht mehr um. Wir bretterten aus der Bucht heraus, dass das Boot nur so auf den Wellen tanzte. Ich musste mich festhalten, um nicht über Bord zu fliegen. Das glaubte mir Luise nie, wenn ich ihr das alles erzählte.
Nikos hielt Kurs aufs offene Meer. Der Wind zerwirbelte mir ordentlich die Haare. Die Taverne hinter uns wurde immer kleiner. So langsam könnte er ja wieder Richtung Ufer lenken, dachte ich. Denn je mehr Wasser uns umgab, umso kleiner schien das Boot zu werden.
»Nikos!«, brüllte ich gegen den Wind. »Halt an!«
Doch da lachte er nur, dass seine weißen Zähne blitzten. Wir waren mittlerweile so weit draußen, dass man es kaum noch mit Schwimmen zurückschaffen konnte. Wollte er mit mir übers Meer türmen? Er war am Morgen schon so seltsam gewesen.
Schließlich stellte er den Motor ab. Das Boot schipperte noch ein bisschen vor sich hin, bis es endgültig stehen blieb. Ich blinzelte gegen die Sonne. Was hatte er denn jetzt vor? Schwimmen gehen? Schon allein der Gedanke war gruselig. Unter uns war das Wasser bestimmt dreißig Meter tief.
Ich hockte mich oben auf die kleine Kajüte. Nikos setzte sich zu mir und legte den Finger auf die Lippen. Von der Wanderei und dem vielen Essen war ich plötzlich so müde, dass ich kaum die Augen offen halten konnte. Ich lehnte mich gegen Nikos’ Schulter. Ein paar Möwen flogen über uns hinweg und ein Stück entfernt kreuzte ein Segelboot vorbei. Nichts, weswegen man aufpassen musste.
Nikos legte seinen Arm um mich. »Noch warten«, flüsterte er in mein Ohr.
Warteten wir also. In diesem Urlaub waren schon so viele seltsame Dinge passiert, dass ich beschloss, mich zur Abwechslung mal nicht zu wundern.
Nach einer Weile war plötzlich ein seltsames Fiepen zu hören. So was hatte ich noch nie gehört. Es klang so traurig. Nikos stieß mich sachte an und zeigte aufs offene Meer. In einiger Entfernung vom Boot waren kleine Strudel entstanden.
»Jetzt gucken, Sophie!«, flüsterte er aufgeregt.
Als ich eine scharfe Flosse aus dem Wasser auftauchen sah, wäre ich fast vom Boot gefallen. Mein Gott, Haie!! Wir waren von Haien umzingelt! Erschrocken schaute ich mich um, doch die Taverne war meilenweit entfernt. Helfen hätte uns jetzt eh niemand mehr können. Die Flossen kamen immer näher. Ein ganzer Schwarm hatte Kurs auf unsere kleine Nussschale genommen.
Ich bin kein Fan von Tiersendungen, folglich hatte ich auch keine Ahnung, was man in so einem Moment tut. Sich tot stellen? Ich legte mich der Länge nach auf die Kajüte und klammerte mich am Rand fest, denn plötzlich begann das Boot zu schaukeln. Ich hatte es geahnt, sie wollten uns umkippen und dann einzeln fressen. Da erklang wieder dieses
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