Ferien mit Mama und andere Katastrophen
und schlief. Als schließlich auch Zadek mit dem Ziegenschädel aus der Höhle trat, sagte er erleichtert: »Danke, Johannes.«
Ich wusste ja ehrlich gesagt nicht, wofür, denn letztendlich hatte Mama uns alle gerettet. Sie allein hatte Nikos singen hören, sonst würden wir wohl noch immer durch die Höhle irren.
Aber wie war Nikos bloß hierhergekommen? Weit und breit gab es nichts als Wasser, hinter uns türmte sich das schroffe Gebirge. Kein Dorf, keine Straße, nichts. Sehr mysteriös, das Ganze.
Ich wollte mich schon mit ihm hinunter ans Wasser verdrücken, als Margarete sagte: »Unser Retter muss unbedingt zum Essen mitkommen, Sophie.«
Am liebsten hätte ich Nein gesagt, denn ich wollte Nikos für mich allein. Doch die Lehrer schüttelten ihm schon alle die Hand und klopften ihm auf die Schulter. Freiwillig gaben sie ihn bestimmt nicht mehr her.
Konnte Kubasch nicht was tun? Aber der kämpfte gerade mit Mama, die es überhaupt nicht nett fand, dass man sie aus ihrem Nickerchen weckte. Sie beschimpfte ihn mit ein paar schlimmen Worten und haute ihm ihre Tasche um die Ohren.
»Sophie«, rief er verzweifelt, »was machen wir denn jetzt mit ihr?«
Woher sollte ich das denn wissen? Ich hatte sie schließlich nicht unter Drogen gesetzt. Nikos kam dann die rettende Idee. Er sang einfach noch einmal sein Lied, was Mama sofort beruhigte, und so zogen die Lehrer brummend und trällernd los, Kubasch am Ende mit Mama im Arm.
Wie sich dann herausstellte, gab es hinter dem kleinen Hügel ein Fischerdorf. Dorf wäre wohl zu viel gesagt. Es waren genau fünf Häuser, die auf einer felsigen Anhöhe direkt am Meer standen. Und Pavlos, der Wirt der einzigen Taverne dort, erwartete uns schon. Unter einem riesigen alten Olivenbaum hatte er einen langen Tisch aufgestellt. Ich quetschte mich mit Nikos auf eine der knarrenden Holzbänke.
Für Mama holte Pavlos einen Schaukelstuhl. Darin schlief sie dann selig ihren Rausch aus, derweil wir uns über die Köstlichkeiten auf dem Tisch hermachten. Pavlos’ Frau strahlte. Die meisten Touristen stocherten nur im öligen Essen herum, erzählte sie, aus Angst, zu dick zu werden. Aber wir fielen wie eine Fußballmannschaft nach dem gewonnenen Endspiel über ihr Essen her. Als ich schon dachte, dass ich gleich platzen würde, rückte Eleni noch mit einem schweren Walnusskuchen an. Nikos hielt die ganze Zeit unter dem Tisch meine Hand.
Der Einzige, dem es irgendwie den Appetit verschlagen hatte, war Kubasch. Er schaute immer wieder besorgt zu Mama. Aber ehrlich gesagt hatte ich sie noch nie so entspannt erlebt. Selbst in ihrem Komaschlaf lächelte sie ununterbrochen vor sich hin.
»Keine Sorge, Wolfgang«, beruhigte Zadek ihn. »Sie wird sich an nichts erinnern.«
Na, ob das in Kubaschs Interesse war? Die Lehrer jedenfalls waren in Oberfeierlaune und ließen Nikos immer wieder hochleben. Martin hatte seinen Ziegenschädel auf den Tisch gestellt, was erst einen ziemlichen Ärger mit Eleni gab, doch als Kubasch ihr die Geschichte mit der Kerze erzählte, stemmte sie ihre Hände in ihre ausladenden Hüften und musste so lachen, dass ihre ganze Person wie ein Wackelpudding bebte.
In dem Moment schlich ich mich mit Nikos vom Tisch weg. Wir kletterten zum Meer hinunter und setzten uns in eine Felsnische, wo uns niemand sehen konnte. Nikos grinste, als ich meine nassen Sandalen von den Füßen zog. Die Höhlenwanderung war ihnen gar nicht bekommen. Die weißen Riemchen waren voller Matsch und Steinstaub und eine der Schnallen war komplett abgerissen. Ich habe Luise ja gleich gesagt, dass diese Damentrittchen nichts für mich sind.
Ich nahm die beiden Sandalen und warf sie ins Meer. Für einen Moment schaukelten sie noch auf einer Welle, dann gingen sie tänzelnd unter. Jetzt war ich barfuß, genau wie Nikos.
Wir hakten unsere nackten Zehen ineinander und lachten, bis wir fast vom Felsen fielen. Ich ließ mir Nikos nicht verbieten. Von niemandem. Sag den Leuten, wer du bist, meint Oma Inge immer, dann wirst du schon sehen, ob sie deine Freunde sind.
Aber was machte ich bloß mit meiner kleinen Schwindelei? Ich hatte Nikos bei unserem ersten Date erzählt, dass ich fünfzehn sei. Jedes Mal, wenn ich ihn ansah, musste ich daran denken. Aus irgendeinem Grund wollte ich mein Erwachsenenleben nicht mit einer Lüge beginnen.
Also holte ich tief Luft und sagte: »Nikos, ich bin vierzehn.«
Zuerst riss er die Augen auf, sodass ich schon dachte, ich hätte besser nichts gesagt. Doch er
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