Ferien mit Patricia
doch endlich auf, dich wie ein Kind zu benehmen«, sagte er zu sich.
Erzog aus der Tasche ein zerknülltes Päckchen Zigaretten, zündete sich eine an und überdachte noch einmal die Geschichte, die ihm sein Vater erzählt hatte, und sie erfüllte ihn wieder mit einer großen Traurigkeit. Sein junger Geist kämpfte mit einer starken, verbissenen Tapferkeit gegen die Zerstörung einer langgehegten Illusion. Alle Worte seines Vaters ließ er sich noch einmal durch den Kopf gehen, und er erinnerte sich an die Sätze: »Ich habe deine Mutter immer geliebt und werde sie immer lieben. Wir hatten ein wunderschönes Leben zusammen, und ich möchte es um nichts in der Welt dahingeben.«
Jerry glaubte jetzt seinen Vater und das zu verstehen, was er ihm damit hatte sagen wollen. Alles, was ihn umgab, waren ja offensichtliche Beweisstücke für seines Vaters Meinung, und dazu gehörten auch das Haus, ihre Freunde, die ruhige Atmosphäre voller Geschmack und Harmonie, in die er hineingeboren und in der er zum jungen Mann erzogen worden war.
Sein Vater hatte ja nur versucht, ihm dies klarzumachen: »Schau, das ist deine Welt. Hier wurdest du geboren und erzogen. Sie paßt zu dir. Du wirst glücklich in ihr werden, ganz gleich, was du jetzt denken oder fühlen magst. Wir haben ja alles nach bestem Vermögen für dich getan.«
Jerry war sich bewußt, daß er von seinem Vater manches geerbt hatte, und zu diesem Erbe gehörte das angeborene und unüberwindliche Gefühl, daß er ein Gentleman sei. Dies war es schließlich auch gewesen, was es ihm ganz und gar unmöglich gemacht hatte, seinen Plan einfach durchzusetzen und noch heute abend zu Catharine zu gehen und ihr von seiner Liebe zu Pat zu erzählen.
Irgendwie fühlte er sich erfrischt und erleichtert, denn er konnte es nicht ertragen, seinem Vater böse zu sein. Als er noch ein Knabe gewesen war, hatte er in seinem Vater eine Art Helden gesehen. Später bewunderte und liebte er ihn um seiner Freundlichkeit und seiner guten Eigenschaften willen. Er hatte sogar die Absicht gehabt, beruflich in seine Fußtapfen zu treten. Wenn Jerry als Knabe darüber nachgesonnen hatte, wie sich wohl sein Leben gestalten würde, wenn er einmal erwachsen war, so hatte er es immer als eine Art Fortsetzung des Lebens seiner Eltern betrachtet. Der Kriegsausbruch bedeutete bloß ein Verschieben auf später.
Jerry versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, warum er hatte allein sein wollen, warum er eigentlich in sein Zimmer hinaufgegangen war. Er hatte gewünscht, wieder bei Pat zu sein, allein mit ihr, um ihre Nähe zu spüren. Voller Schrecken und mit einem Gefühl der Bestürzung wurde er nun gewahr, daß er sie nicht finden konnte. Nicht, daß sie für immer gegangen war, sondern es schien ihm, als habe sich eine Tür geschlossen, durch die die Musik von Pats Wesen nur gedämpft zu ihm herüberdringen konnte. Es war, wie wenn man im Nebel nach einem Menschen sucht, dessen Stimme man wohl hört, den man aber nicht sehen kann. Jerry dachte an die Nacht in Schottland zurück, als sie sich in Trossachs am Fuße des Ben Venue im Gewitter verlaufen hatten und Pat plötzlich still geworden war, daß er voller Angst im Dunkeln nach ihr getastet hatte.
Und in seiner Erinnerung fühlte er wieder die hilflose, durchfrorene, vom Regen durchnäßte Gestalt mit den ander Haut klebenden Kleidern und das vertrauende und doch hilfesuchende Anschmiegen ihres Körpers an den seinen, und er spürte von neuem diesen stummen Hilferuf, das Eingeständnis, daß sie mit ihren Kräften am Ende war, daß sie krank war und litt und vor Kälte nicht sprechen konnte, daß er ihr beistehen mußte.
Noch einmal fand er sich zurück in das Gestern, in die einfache und niedrige Stube jenes Bauernhofes im Hochland droben, wo er die ganze Nacht mit Pat im Arm vor dem flackernden, nach Torf riechenden Feuer gekauert und sie an seinem Herzen gewärmt hatte, ohne zu wissen, wie sehr er sie liebte.
Jerry packte wieder die Angst, denn auch dieses geliebte Bild schwand dahin wie ein Traum, der dem Aufwachenden noch wie das Leben selbst erscheint, sich eine Stunde später aber bereits ins Nichts aufzulösen begonnen hat wie ein Sommernebel, wenn die Sonne aufgeht. Er konnte sich wohl noch an das Feuer, nicht aber an den Kamin erinnern, wohl an den rauchgeschwärzten dampfenden Kessel, aber nicht an den Eisenhaken, von dem er herabhing, an das Gewebe der Wolldecken, mit denen er Pat umhüllt hatte, nicht aber an ihre Farbe, und an das
Weitere Kostenlose Bücher