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Ferien mit Patricia

Ferien mit Patricia

Titel: Ferien mit Patricia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Treppe stehenzubleiben, wo die zauberhafte Flucht mit Jerry ihren Anfang genommen hatte (... einunddreißig Minuten nach zehn Uhr, am Morgen des 18. Juni...). Und im Bahnhof von Glasgow hatte sie ihren Abschluß gefunden. Erst als der Eisenbahnwagen, in dem sie so aufrecht und ohne eine einzige Träne am Fenster gestanden hatte, am Ende des Bahnsteigs in die erste Kurve gebogen war und sie die kleiner und kleiner werdende Gestalt des jungen Mannes mit dem dunklen Haar, der seine verwegene und zerdrückte Mütze schwenkte, aus den Augen verloren hatte, schaute Pat auf ihre Uhr hinab und flüsterte in das immer lauter werdende Rattern der Räder hinein: »...und es war zu Ende am 27. Juni, eine Minute nach neun Uhr, für immer und ewig...«
    Und die ersten glänzenden Tropfen waren auf ihr Handgelenk hinuntergefallen...
    Nach ihrer Ankunft in Kenwoulton war sie sogleich nach Hause geeilt, um sich umzuziehen. Es drängte sie, ihre Zivilkleider wieder abzustreifen und die steife, anonyme Uniform anzulegen, als könne sie damit alle ihre Erinnerungen, all ihr Sehnen und ihr Weh von sich abtun.
    In ihrer Dienstkleidung fühlte sie sich wohl und geborgen. Selbst das Herz schien ihr weniger schwer zu sein. Es fiel ihr leicht, am nächsten Tag zu ihren Pflichten und in ihr altes Leben zurückzukehren, in die gewohnte Routine und Konzentration ihrer Arbeit, die sie vollständig in Anspruch nahm und sie so in ein trügerisches Gefühl der Sicherheit einlullte. Aber nur zu bald wurde sie gewahr, daß es kein Entfliehen gab, weder vor sich selbst noch vor Jerry.
    Denn Kenwoulton war ja voller Jerrys, amerikanischer Flieger, die, wenn sie auch nicht aussahen wie Jerry, sie doch ständig an ihn erinnerten mit ihren sauberen Waffenröcken, Silberflügeln, ihren Sternen und Bändern, mit ihren klaren, kecken und mutwilligen Augen und lächelnden Lippen, ihrem beschwingten Gang und besonders mit ihrer Stimme und Sprache.
    Gewiß waren dies bloße Äußerlichkeiten, aber Pat ertappte sich doch dabei, wie sie unter den jungen Männern nach Jerry Ausschau hielt. Sie stellte fest, wie sehr sie sich danach sehnte, mit ihnen zusammenzusein, mit ihnen zu sprechen, weil sie das näher zu Jerry brächte, und es durchfuhr sie wie ein Schreck, als sie bemerkte, wie stark ihre Sehnsucht noch war, und daß sich gar nichts in ihr geändert zu haben schien.
    Und doch war manches in ihr anders geworden. Ein noch größerer Schreck wartete ihrer, als sie sich in einem Spiegel erblickte. Es war das erstemal, daß sie sich die Mühe nahm, sich selbst eingehend zu betrachten. Es war nicht mehr dasselbe Mädchen, das sie aus dem Spiegel ansah, und sie entsetzte sich vor sich selbst.
    Jerry war für immer gegangen. Aber was dann, wenn auch die Pat, die sie kannte und mit der sie in einer Art inneren Friedens und Zufriedenheit gelebt hatte, gegangen war?
    Für das, was sie litt, und für das noch vor ihr liegende Leid, von dem sie wußte, daß es immer stärker auf sie eindringen würde, machte sie nur sich selbst verantwortlich. Sie hatte etwas getan, von dem ihr Herz sagte, daß es recht sei, das ihr Verstand aber als falsch verurteilte. Mit voller Überlegung war sie in Gesellschaft eines jungen Mannes weggefahren, der mit einem anderen Mädchen verlobt war und der ihr auch gesagt hatte, daß er dieses Mädchen heiraten werde. Nie hatte Jerry ihr versichert, daß er sie liebe. Von Anfang an hatte er sie nicht im unklaren darüber gelassen, daß er solche Gefühle nicht für sie hegte.
    Pat war sich selbst gegenüber viel zu ehrlich, als daß sie nach Entschuldigungen gesucht hätte. Ihre Liebe zu Jerry, die Tiefe und Gewalt ihres Empfindens waren so sehr zu einem Teil ihrer selbst geworden, daß es ihr nicht einmal einfiel, dies als einen Grund für ihr Handeln anzusehen. Sie wußte, daß Jerry und sie, ja, auch sein Mädchen daheim, ja, überhaupt die Menschen, in einer Welt lebten, die bis in die Grundfesten erschüttert war. Sie wußte auch, daß sie an der Kampffront lebte, wo Leben und Sterben zu etwas Alltäglichem geworden waren, und daß Tag für Tag dieser Junge, den sie über alles in der Welt liebte, im Einsatz stand, von dem er einmal nicht mehr zurückkehren konnte. Die Worte »Drei Flugzeuge kehrten nicht an ihren Stützpunkt zurück« waren zu einem Teil ihrer Lebensgewohnheiten geworden, denn auch sie war ja durch ihren Dienst aufs engste mit den Schicksalen eines Flugstützpunktes verbunden. Von einer Woche zur andern wurden junge

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