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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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er gleich das Kind in Ruh’ lassen!«
    Ich war im Nu von einer Rotte Menschen umstellt. Einige Rowdys nahmen eine drohende Haltung an, Männer murrten, ein Weib kreischte mich an:
    »Pfui über so ’nen Spitzel - ’n armes Mädchen, wat sich ’n paar Jroschen verdient, festezunehmen . . .«
    »Is ja jar keen Jeheimer, ist ja ’n solcher! Haut ihn!«
    Die kleine Luise entschlüpfte mir, ein Schutzmann kam breit wie ein Hilfskreuzer auf die Gruppe zugesegelt, die alsbald um ihn und mich einen mehrfachen Belagerungsring schloß.
    »Was ist los?« fragte der Gesetzeshüter.
    »Er hat ’n kleines Jör belästigt - er hat ’n Kind jemißhandelt
    - er hat ihr blutig jeschlagen - er hat jesagt, er is ’n Jeheimer, aber er is ’n Lump.«
    Der Schutzmann stand wie ein Fels.
    »Wer sind Sie?«
    Ich zog meine Legitimationskarte heraus.
    »Was ist geschehen, Herr Doktor?« fragte der Schutzmann, nachdem er die Karte gelesen.
    »Doktor - ’n Doktor is er - amputieren will er ihr - Versuchskarnickel braucht er, der Schwein . . .«
    »Ruhe!« donnerte der Schutzmann. »Was ist geschehen?«
    »Ich will es gerne sagen«, antwortete ich, »aber nicht vor diesen Leuten, die die Sache nichts angeht.«
    Ein wüstes Geschrei antwortete mir; immer mehr Volk sammelte sich an.
    »Kommen Sie in Ihrem eigenen Interesse mit mir«, riet der Sicherheitsmann.
    »Jawohl!« sagte ich, und wir durchbrachen die Kette. Niemand konnte mich schützen, daß ich ein paar Püffe und Stöße erhielt. Ein Trupp johlte hinter uns her, wurde aber durch ein Pferd, das auf der Straße gefallen, in seinem Interesse abgelenkt, und ich war mit dem Schutzmann allein. Wir traten in einen Hauseingang, und ich gab ihm eine kurze Aufklärung. Als er den Namen der Pflegeeltern Luises gehört hatte, sagte der Schutzmann:
    »Der Mann ist ’n Tagedieb und die Frau ’ne Schlampe. Da sehen Sie man, daß Sie det Wurm da abkriejen.«
    Ich dankte ihm, und wir trennten uns. Einen Augenblick überlegte ich noch, ob ich zuvor einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen solle, aber dann ging ich direkt nach Luises Wohnung. Ein Hinterhaus von vielen Stockwerken. Auf dem Hofe spielten Kinder im Staub der Stubendecken, die geklopft wurden. Die Treppe war dunkel und schmutzig. Im dritten Stockwerk las ich den Namen von Luises Pflegevater. Ich läutete zweimal, dann kam ein zaghafter Kindertritt, die Tür wurde geöffnet, ein entsetzter Schrei, die Tür flog wieder zu. Ich läutete abermals. Ein großer, starker Mann erschien. Er trug einen Christusbart, ziemlich lange Haare und stak in einem schwarzen, wenig sauberen Rock. Später erfuhr ich, daß der Mann »Prediger« bei irgendeiner neuen Sekte war.
    Er wollte mich erst mit einer hochmütigen Miene mustern, aber plötzlich wurde sein Gesicht scheinheilig freundlich, und mit ölglatter Stimme sagte er:
    »Ah, Herr Oberkommissar, ich hab’ schon gehört - weiß schon - der Herr Polizeiinspektor haben meine Pflegetochter beim Handel erwischt - aber ich kann bei meiner Ehre versichern - Herr Inspektor, ich bin unschuldig - ich verbiete dem Mädel aufs strengste - haben es ja auch gottlob nicht nötig - aber sehen Sie, Herr Inspektor, so ’n hergelaufenes Kind von schlechter Abkunft, das man so aus purem Mitleid - ich bin Oberprediger bei der Gemeinde der Jünger von Kapernaum -, das man so aus christlicher Barmherzigkeit aufzieht und das doch nicht gerät, weil der Feind sein Unkraut unter den Weizen sät, das stiehlt sich nun ’n Jroschen, kauft sich Schuhbänder oder Streichhölzer oder was weiß ich und verkauft sie, um zu naschen - natürlich nur - um zu naschen . . .«
    Das Geschwafel erstarb an meiner wortlosen Ruhe.
    »Was wünschen der Herr Inspektor - ich würde den Herrn Inspektor gern in die Wohnung bitten, aber meine Frau ist zufällig heute noch nicht mit dem Aufräumen fertig . . .«
    Da sprach ich endlich.
    »Sie irren - ich bin kein Polizeimann - ich bin der Onkel der kleinen Luise.«
    »Sie sind - Sie sind - ach so - ach so - der sind Sie . . .«
    Er brach in ein meckeriges Lachen aus.
    »Ich will Sie zur Rechenschaft ziehen, Sie schlechter Kerl!« rief ich außer mir.
    »Sie wollen mich - was wollen Sie?«
    Sein Gesicht veränderte sich. Eine zynische Frechheit machte sich auf seinen Zügen breit.
    »Was wollen Sie!« brüllte er. »So ’n Balg - so ’n unsauberer Balg - und Sie wollen noch - ah, wenn Sie mir was zu sagen haben, schreiben Sie es mir; ich bin für Sie nicht zu sprechen - verstehen Sie - für Sie

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