Ferien vom Ich
habe ich im Theater verpaßt. Die Pflegeschwester ist nun mit der Luise in unserem Hotel. Nummer 187 wohnen sie. Bald fahren sie nach einem Erziehungsinstitut in Thüringen. Es ist mir empfohlen worden. Da wird ja wohl die Luise körperlich und seelisch zurechtgestutzt werden.«
Ich schlug wieder einmal die Hände zusammen.
»Guter Herr Stefenson, das haben Sie getan?«
»Ich bitte, exaltieren Sie sich nicht! Eine Zeitlang wird die Luise in dem Institut bleiben, und dann kann sie zu uns in das Ferienheim kommen - so als eine Art - als eine Art Einweihungsengel.«
Mich würgte es in der Kehle.
»Sie wollen das Heim doch mit mir gründen?«
»Ja«, sagte er ganz ruhig, »ich will. Es hat mir was an Ihrer Geschichte gefallen. Natürlich nicht das Sentimentale; aber daß Sie fünf Jahre lang die Jagd machten, das zeugt doch von einer gewissen Ausdauer. Und Ausdauer ist zu gebrauchen.«
Ich bin wieder im stillen Waltersburg. Berlin N liegt hinter mir wie ein wüster Traum. Welch Gegensatz! Die kleine Luise ist gut untergebracht.
Stefenson hat mir gestern schriftlich mitgeteilt, daß er mich für keinen Philosophen halte, auch nicht für das, was man einen lebensklugen Menschen nenne, und was ich als Arzt tauge, könne er nicht beurteilen. Er halte mich für einen Dichter. Meine ganze Idee sei weniger ärztliches Problem als vielmehr eine Dichtung. Aber Dichtung sei besser als Problem. Dichtung ist etwas Gezeugtes, Probleme sind etwas Konstruiertes, Dichtung ist Lebewesen, Problem ist Mechanik. Und so solle ich nur jetzt meine Dichtung ganz ausgestalten und ihm vertrauensvoll übergeben. Was ausführbar sei, werde ausgeführt werden, das andere werde als blauer Dampf in die Höhe ziehen und auch als Wölklein am Himmel noch schön sein.
In den Tagen des Werdens
Beschaulichen und nachdenksamen Charakters ist Herr Stefenson nicht. Es geht alles so verblüffend schnell bei ihm, daß er, wenn ein anderer noch bei den ersten Erwägungen und Bedenken stände, schon immer am Ende ist. Freilich kommt dazu, daß er Glück hat. Das Gelände am Ostabhang des Weihnachtsberges steht zum Verkauf. Es gehört einem Manne, der wie Hans im Glück ständig seinen Besitz vertauschte. Dieses Gut hat er gegen große, sehr ertragreiche Steinbrüche umgetauscht, die Steinbrüche gegen eine Fabrik, die noch besser war, und so ist es langsam bergab gegangen, und Herr Stefenson mit seinem großen Geldbeutel hat wenig Schwierigkeiten gefunden. Achtundvierzig Stunden haben die Verhandlungen gedauert, dann war das Gut, das mit Wiese und Wald 2500 Hektar groß ist, von Stefenson gekauft. Um einen Preis, bei dessen Nennung einem früheren Schiffsarzte die Gänsehaut ankommt.
»Nun ist das Gelände da, nun muß die Gemeinde errichtet werden«, sagte Stefenson sehr einfach. »In einem Jahre müssen sämtliche Häuser stehen.« - »In einem Jahre?«
»Ja! Die Deutschen brauchen, wenn sie einen Dom bauen wollen, vierhundert Jahre, der Amerikaner braucht, wenn er eine Stadt baut, sechs Monate.«
»Es ist dann aber auch danach.«
»Ob es danach ist oder nicht, ist gleich«, erwiderte Stefenson verdrossen. »Jedenfalls habe ich für die ganze Chose nicht mehr Zeit. Ich muß nach New York, nach Milwaukee, nach Trinidad. Sehen Sie sich das Gelände an und machen Sie Ihren Plan. Ich werde auch einen Plan machen. Ich brauche drei Tage Zeit dazu.«
»Ich würde drei Jahre dazu brauchen, aber um Ihretwillen werde ich in sechs Wochen mit meinem Plane fertig sein.« Er wandte sich finster ab. Drei Tage lang lief er auf dem erworbenen Gelände umher, zeichnete, machte Notizen und ging mir aus dem Wege. Am vierten Tage teilte er mir auf einer Postkarte mit, er habe einen kleinen Abstecher nach Sizilien unternommen. Ich war sehr froh darüber und ging nun daran, mein Ferienheim im Plane zu entwerfen.
Das Gelände kannte ich genau. Die meisten meiner Bubenstreiche hatten in jenem Wald gespielt; auf jenen Wiesenrainen war ich als Student tausendmal gegangen. Eines war zu vermeiden - alle Gleichförmigkeit. Eine Villa neben die andere zu bauen, ein Logierhaus wie das andere, alles in zimperlich geordneten Gärten, wo man kaum einen Fuß hineinzusetzen wagte wie in die gute Stube einer peinlichen, eitlen Hausfrau, das sollte uns gewiß nicht einfallen, ganz abgesehen von Basaren, Hotels, Restaurants, Plätzen und Straßen großstädtischer Art.
Im Mittelpunkt der Ferienheimat soll das Rathaus liegen. Es soll ein großer, geräumiger Bau altdeutschen Stils
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