Ferien vom Ich
trachten, daß ihm erst ein Arzt die Beule öffnet und die Wunde säubert und verbindet, ehe er marschiert. Sonst bleibt er am Wege liegen. So geht es mir auch. Ich muß mir erst diese Angelegenheit mit meiner kleinen Nichte vom Halse schaffen, ehe ich an unsere Aufgabe gehen kann.«
»Gut, so schaffen Sie sich die Angelegenheit vom Halse -morgen vormittag zwischen neun und elf. Um elfeinhalb können wir dann unsere Beratung haben.«
»So rasch geht das nicht.«
»Wie lange kann es denn dauern?«
»Wohl einige Wochen oder auch Monate.«
Herr Stefenson lächelte sanftmütig.
»Das ist sehr schön! Ja, dann sind Sie wohl so freundlich, mich nach einigen Monaten gelegentlich wissen zu lassen, mit wem Sie schließlich Ihr Sanatorium begründet haben. Ich bin gar nicht abgeneigt, mir dann einen Prospekt schicken zu lassen. Für jetzt guten Abend!«
Er verließ mich. Ich sah ihm nach, als er aus dem Zimmer ging, und wußte, daß es aus war mit meinem Lebenstraume. Ich saß ganz still, und ich weiß jetzt nicht mehr, was ich damals alles dachte. Ich wußte in jener Stunde nur, es war aus, um eines kleinen Mädchens willen, das ich kaum auf zwei Minuten lang gesehen hatte - aus! Dieser Mann, der vor zwei Tagen soviel Geld auf eine Idee von mir setzen wollte, hielt mich nun für einen Schwachkopf. Aber auf so elende Weise durften wir uns nicht trennen. Rasch warf ich einige Zeilen auf eine Karte, ich müsse Herrn Stefenson noch einmal sprechen, nicht um ihn umzustimmen, daran dächte ich nicht, sondern um nicht ganz ungerechtfertigt zu scheiden. Ich schickte Stefenson durch einen Kellner die Karte, und er kam auch bald persönlich. »Mister Stefenson - es ist nichts Geschäftliches mehr, nur etwas rein Menschliches. Es ist darum, daß wir uns jetzt ohne gegenseitige Hochachtung, aber doch auch ohne beleidigende Gesten trennen wollen, wie Sie selbst einmal gesagt haben. Haben Sie noch zehn Minuten Zeit für mich?« Er nickte, und ich erzählte ihm ohne alle Umschweife die Tragödie Joachims und seines Kindes und wie ich das Mädchen heute draußen auf der Ackerstraße getroffen hatte. Mir wurde das Herz warm beim Erzählen, aber Stefenson blieb ganz gleichgültig. Zuletzt sagte er:
»Es ist eine traurige Geschichte, die Sie da erzählt haben, aber sie kommt alle Tage vor. Es ist gar nichts Neues. Ich habe die Geschichte auch erlebt. Aber etwas Interessantes ist dabei: Sind Sie wirklich fünf Jahre lang hinter Ihrem Bruder her gewesen?«
»Ja, ich fand ihn nicht eher.«
»Hm! - Sagen Sie, wollen wir den Abend noch zusammenbleiben? Ich möchte den Sommernachtstraum in der deutschen Aufführung ansehen. Kommen Sie mit? Sie haben es wohl nicht so eilig nach Hause?«
Ich wußte, daß ich bei diesem Manne verspielt hatte, aber ich nahm die Einladung an. Er sagte, er habe nun noch Geschäfte, wir würden uns im Theater treffen. Damit händigte er mir eine Theaterkarte ein und verließ mich. - Mendelssohns Ouvertüre zum »Sommernachtstraum« huschte und zwitscherte an mir vorüber, Shakespeares unsterbliches Werk reinster Fröhlichkeit tat sich in glänzender Darstellung vor mir auf, aber ich saß wie ein Geistesabwesender auf meinem Platze. Der Stuhl neben mir war leer geblieben. Stefenson war nicht erschienen. Der Märchenwald, durch den die Elfen huschten, blaute vor meinen Augen; aber ich dachte an den Wald am Abhang des Waltersburger Weihnachtsberges. Pyramus und Thisbe trieben ihren grotesken Spaß. Da dröhnte von meiner Logentür her tiefes Gelächter. Stefenson stand dort. Er beachtete mich nicht, er schaute nur vergnügt nach der Bühne und lachte so laut, daß er die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog.
Die nächste Pause kam. Da setzte sich Stefenson neben mich und sagte zur Entschuldigung seines späten Kommens: »Manche Geschäfte wickeln sich in Berlin sehr langsam ab.« Nach dem Theater fuhren wir nach einem Restaurant. Nachdem wir gegessen hatten, sagte Stefenson ganz unvermittelt: »Die Luise habe ich flottgemacht. Zuviel Schwierigkeiten habe ich mit dem alten Gauner nicht gehabt. Der Hauswirt war gerade bei ihm und drängte um die Miete; da machte es der Kerl um dreihundert Mark. Er gab alles schriftlich, was ich wünschte. Mit Anwälten ist das nichts. Das ist teuer und umständlich. Mit dreihundert Mark war alles in zwanzig Minuten gemacht, und ich hatte das Kind. Dann war ich um eine Pflegeschwester aus. Das hat länger gedauert. Das hat unsinnig lange gedauert. Die ganze schöne Eselsszene
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