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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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gewesen, und da sich gegen diese bekanntlich überhaupt nichts tun lasse, so sei ich ja sicher ganz am Platze gewesen. Mein Geist habe so ungeheuer viel Zeit zum Ausruhen gehabt, daß ich (wahrscheinlich unter dem verheerenden Einfluß der Tropensonne) auf die Idee meiner Anstalt »Ferien vom Ich« gekommen sei. Neustadt solle jubeln und mir eine Dankadresse schicken, mir auch sonst alle mögliche Förderung angedeihen lassen; denn das moderne Weltbad spare sich durch meine Anstalt ein Hanswursttheater, und es wäre nur zu bedauern, wenn sich die Neugründung nicht bis zum nächsten Fasching hielte. In dem jederzeit reichhaltigen Vergnügungsprogramm von Neustadt würde es sich jedenfalls ganz gut ausnehmen, wenn es um die Faschingszeit hieße: Morgen Besichtigung der Waltersburger Kuranstalt »Ferien vom Ich«. Ängstliche seien versichert, daß ein Ausbruch von Irrsinn nicht zu befürchten ist, da sich dieser in der Waltersburger Anstalt nur ganz harmlos und kindlich äußere.
    Das war der Begrüßungsartikel, der meiner Gründung von dem freundnachbarlichen Neustadt zuteil wurde. Stefenson brachte ihn mir persönlich. Er beobachtete mich, als ich ihn las.
    »Niedlich!« sagte ich; »ich hätte das den Kerlen gar nicht zugetraut.«
    »Na, sehen Sie«, atmete Stefenson auf, »es freut mich, daß Sie nicht entrüstet sind oder diesen braven Zeilenschinder etwa gar verklagen wollen. Der Artikel ist wirklich nett.« Eine der nächsten Nummern der »Umschau« beschäftigte sich mit Mister Stefenson. Es hieß darin, nach authentischen Auskünften aus Amerika sei Mister Stefenson, der bekanntlich das Waltersburger Kuranstalts-Unternehmen finanziere, einer der merkwürdigsten Geschäftsleute aus dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten. Seine geschäftliche Laufbahn habe Stefenson als Küchenboy in einem Hotel vierten Grades begonnen. Als aber der einzige silberne Löffel, über den jenes Hotel verfügte, eines Tages verschwand und ganz zufällig in der Pappschachtel, die des jungen Stefenson Kleiderschrank darstellte, aufgefunden wurde, wohin er auf eine Herrn Stefenson auch jetzt noch ganz unerklärliche Art gekommen wäre, sei der vielversprechende junge Mann nach Texas ausgewandert. Aber auch dort sei er vom Unglück verfolgt worden. Denn obwohl der Strick, an den die Bewohner einer Farm den Jüngling wegen angeblichen Pferdediebstahls hingen, riß und also gewissermaßen ein Zeichen vom Himmel für die Unschuld des Gerichteten vorlag, hätten die barbarischen Urwaldsgesellen den Gast aus dem Norden so fürchterlich verprügelt, daß Stefenson zwei künstliche Rippen als Andenken an jenes Abenteuer behalten habe. Das weitere Leben des Mannes, den die Waltersburger im Begriff ständen, zu ihrem Ehrenbürger zu machen, sei ebenfalls recht bewegt und reich an Zwischenfällen gewesen. Stefenson sei einmal als Kutscher bei einem großen Petroleumtransport engagiert gewesen. Dieser Transport sei von Indianern überfallen, die ganze Begleitmannschaft tot - und sämtliche Petroleumfässer entzweigeschlagen worden. Nur Stefenson sei am Leben geblieben, da er so vorsichtig war, bei der herannahenden Gefahr als erster zu fliehen. Es habe sich nun so gefügt, daß Stefenson am nächsten Tage zwei abenteuernde, reiche, aber recht dumme Kerls in einer benachbarten Stadt getroffen und diese vertraulich auf ein Gelände aufmerksam gemacht habe, wo ohne Zweifel starke Petroleumquellen vorhanden seien. Diese beiden Burschen habe Stefenson, nachdem er die Spuren des Überfalls gründlich beseitigt hatte, auf das Gelände geführt, allwo noch ein penetranter Petroleumgeruch war, und die beiden Gimpelchen hätten sich bereit erklärt, an Stefenson zunächst mal fünfhundert Pfund zu zahlen, damit er alles Nötige für die Erschließung der Quellen in die Wege leite. Als sich aber Stefenson die Sache weiter bei sich selbst überlegt habe, hätte er sich gesagt, wenn er ehrlich sein wolle, müsse er an der Ergiebigkeit des Unternehmens zweifeln, er wolle also seinen Geldgebern lieber weitere unnötige Kosten ersparen und, ohne sich erst durch »Good bye« und andere Abschiedsförmlichkeiten aufzuhalten, sofort nach Chikago verschwinden. Die fünfhundert Pfund (das seien nach deutschem Gelde zehntausend Mark), die Stefenson mitgenommen habe, hätten die Basis für seine weiteren geschäftlichen Unternehmungen gebildet, für Unternehmungen, die nicht weniger originell als die Petroleumgeschichte gewesen seien. So sei Stefenson nach und nach

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