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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Mister Stefenson hat der von ihm hochgeachteten Gemeinde Waltersburg, der vielgeschmähten Stadt, mit dem weißen Lamm als Wappentier, eine Genugtuung geben wollen, indem er die Neustädter Bevölkerung durch ihre eigene Zeitung aufsitzen ließ. Mister Stefenson hat - wie vorliegende Dokumente beweisen - die beiden aufsehenerregenden Artikel, die natürlich von A bis Z erfunden sind, nämlich selbst geschrieben und gegen Zahlung von hundert Mark an den Herrn Redakteur und Zahlung von dreihundert Mark an den Verleger in der Neustädter >Umschau< veröffentlicht. So viel war ihm der Spaß wert. Die Neustädter aber mögen nun die Zoologie nach einem für sie passenden Wappentier gefälligst selbst durchforschen.«
    Als Stefenson dieses kleine Manuskript gelesen hatte, drückte er mir die Hand.
    »Ich danke Ihnen«, sagte er anerkennend. »Sie sind gar nicht so unamerikanisch.«

    Und ich bin doch ganz und gar unamerikanisch. Ich kann nicht einmal sagen, daß ich ein reines Glück im Herzen fühlte, als ich unser Ferienheim so fabelhaft schnell wachsen sah. Die Riesenscharen von Arbeitern bedrückten mich oft, und wenn ich sie abends in ihren großen Baracken lachen und lärmen hörte, dachte ich daran, wie schön es war, als noch die stillen Raine durch grüne Felder liefen. Überall Ziegelfuhren, aufgerissene Wege, Kalk, Staub, Steine, Unordnung. Ich fühlte mich auf diesen Bauplätzen außerordentlich unbehaglich, und wenn ein schöner Baum zum Opfer fallen muß, bereitet es mir Schmerz, als ob einem unschuldigen Freund ein großes Unrecht geschähe.
    Für den Architektenberuf bin ich verloren. Ich sehe nach dem Plane ein Haus immer ganz anders, als es vor mir steht, wenn es fertig ist. Ich glaube, ich sehe alles zu schön; es kann in Wirklichkeit nicht so werden, wie ich es träumte. Ich sehe einen Bauplatz wie ein unordentliches Zimmer. Erst wenn »aufgeräumt« sein wird, wird es hoffentlich anfangen, mir zu gefallen.
    Die meisten Baulichkeiten sind unter Dach. Das Herbstwetter war heiter. Im Winter wird mit unverminderter Kraft an dem Innenausbau weitergeschafft werden.

Joachim

    Anfang des Monats bekam ich folgende Depesche: »Treffe drei Uhr fünfzig nachmittag Bahnhof Neustadt ein. Bruder Joachim.« Das Telegramm war frühmorgens in Berlin aufgegeben.
    Erst langsam begriff ich, daß da etwas Wunderliches geschah, daß mein verschollener Bruder plötzlich heimkehrte. Da quoll es mir heiß durchs Herz, und ich wollte zur Mutter gehen und ihr das Wunder erzählen. Aber ich ging zuerst zu Stefenson. Er las das Telegramm und sagte gleichgültig: »Na, also, da holen Sie nur Ihren Bruder von der Bahn ab.«
    »Ich weiß nicht, wie ich’s mit der Mutter machen soll.«
    »Der Mutter würde ich vorläufig nichts sagen. Sie wissen ja noch nicht, warum Ihr Bruder heimkommt. Also sprechen Sie erst mit ihm.«
    Diesem Rate folgte ich. Schon kurz nach drei Uhr war ich auf dem Bahnhof. Ich verbrachte qualvolle Minuten des Wartens. Als aber der Zug einlief, war ich ganz ruhig. Ich sah Joachim an einem Fenster stehen und winkte ihm zu. Als er ausgestiegen war, sagte ich:
    »Willkommen, Joachim; ich freue mich, daß du gekommen bist.« Sein Gesicht war bleich, und die Hand, die er mir gab, war feucht.
    »Weiß es die Mutter?«
    »Nein, ich wollte erst mit dir sprechen.«
    »Das ist gut. Ich kann wohl am besten hier in einem Hotel Unterkommen. Ich heiße Harton, verstehst du, Doktor Harton aus Baltimore.«
    Er sprach mit einem Gepäckträger; dann fuhren wir nach einem Hotel.
    Unterwegs fragte ich ihn:
    »Bist du gesund?«
    »Ja - oder auch nein - ach Gott, ich weiß es selbst nicht.« Ich wollte Joachim erst Zeit lassen, sich zu waschen und ein wenig auszuruhen, aber er nötigte mich bald mit auf sein Zimmer. Auf seinem Reisekoffer saß er, den Mantel noch um die Schultern, und sprach mit gepreßter, etwas abstoßender Stimme: »Da bin ich nun doch hierher gekommen. Ich hätte es nie für möglich gehalten. Aber als wir anfingen Briefe zu wechseln, verlor ich meine Sicherheit - das Heimweh - das quälende Heimweh . . .«
    Ich trat ans Fenster und sah auf die Straße.
    »Fritz!«
    Ich wandte mich ihm wieder zu.
    »Fritz, warum habt ihr eigentlich dieses Attentat, nun ja, ich muß schon Attentat sagen, es hat mich ja ganz wehrlos gemacht - warum habt ihr eigentlich diese Geschichte mit dem Tagebuch gemacht?«
    »Was für eine Geschichte mit dem Tagebuch?«
    »Nun, daß du mir durch diesen Mister Stefenson, der ja wohl mit dir

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