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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Stube. Der Abend dunkelte durch die Fenster. Allmählich aber kam die Unterhaltung wieder auf. Wir entwarfen Pläne für die nächste Zukunft.

    Als wir nach mehreren Stunden nach dem Speisesaal des Hotels kamen, saß dort Mister Stefenson. Ich ging sofort auf ihn zu und sagte:
    »Mister Stefenson, das ist sicher: Sie sind einer der größten Prachtkerle der Welt. Da ist er - mein Bruder Joachim - den Sie heimgezaubert haben.« Stefenson antwortete mir nicht, schüttelte aber dem Bruder herzlich die Hand.
    »Das ist schön, daß Sie gekommen sind. Hergezaubert habe ich Sie zwar nicht; denn ein Mann wie Sie läßt sich nicht herzaubern. Aber, daß Sie gekommen sind und uns bei unserem Bau helfen wollen, ist ein Glück; denn Ihr Bruder hat zwar Phantasie und auch sonst brauchbare Eigenschaften, aber im ganzen ist er ein Schwärmer.«
    »Danke, Mister Stefenson!«
    »Oh, bitte!«
    Wir setzten uns zusammen. Stefenson kam sofort aufs Geschäftliche.
    »Sehen Sie, Doktor Harton, den ganzen Bau, wo wir die elektrischen Bäder, überhaupt alle klinischen und medizinischen Einrichtungen unterbringen wollen, habe ich trotz des Widerspruchs meines geehrten Kompagnons bis jetzt nur in den Außenumrissen fertiggestellt; die endgültige innere Einrichtung sollte bleiben, bis Sie kämen; denn Sie haben in solchen Dingen große Erfahrung, da Sie sich schon zweimal organisatorisch sehr bewährt haben.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Na, ich habe mich doch selbstverständlich in mehreren guten Auskunftsbüros über Sie erkundigt. Wenn Sie nichts getaugt hätten, hätte ich mich doch auch nicht um Sie bemüht. Aber wir brauchen Sie! Deshalb schickte ich Ihnen das Tagebuch.«
    Verärgert fuhr ich den Krämer an:
    »Sie haben also wieder nur ans Geschäftliche gedacht?«
    »Na, selbstverständlich, Sie verwundertes Unschuldslamm! Woran soll man denken als ans Geschäftliche, wenn man ein nicht gar zu schlechter Kaufmann ist?«
    Joachim lächelte; mir aber stürzte wieder einmal ein gläsernes Tempelchen ein, in das ich meinen Götzen Stefenson gesetzt hatte.
    Stefenson nahm nun meinen Bruder ganz in Anspruch. Er fragte über tausend Dinge aus Amerika. Ich schwieg. Vielleicht war es ganz gut, daß der durch die Heimkehr äußerst aufgeregte Bruder zunächst durch die trostlos nüchternen Schwadronaden dieses Kaufmanns Stefenson abgelenkt wurde.
    Wir hatten schon Abendbrot gegessen, als sich Stefenson verabschiedete. Er erzählte, er habe einen kleinen Neffen. Der Vater sei tot, die Mutter an einen gefühllosen Mann wieder verheiratet, der dem sechsjährigen Knaben ein Stiefvater sei. Der Junge sei jetzt bei entfernten Verwandten in Hamburg. Er wolle den Knaben, der Georg heiße, mal probeweise zu sich nehmen; vielleicht, daß etwas aus ihm würde. Die Gründung einer so neuen Gemeinde mit allem ihrem Drum und Dran müsse ja auf einen Jungen einen tiefen Eindruck machen und ihm fürs ganze Leben einige stählerne Gerüstschienen in die Seele spannen. Nun wolle er also mit dem Nachtzug reisen, und er hätte es gern, wenn ich ihn zum Bahnhof begleitete, da er wegen der Vertretung manches Geschäftliche mit mir noch zu erledigen habe, womit er den Bruder nicht langweilen wolle. Als wir auf der Straße waren, sagte Stefenson: »Nun will ich Ihnen was anvertrauen, damit Sie mir nicht hinterher wieder aus dem Häuschen fallen und alles verderben. Also, mein kleiner Neffe, der Georg, ist nämlich gar kein Junge, sondern ein Mädchen - er ist die kleine Luise.«
    »Stefenson, Sie sind toll!«
    »Nein. Ich bin vernünftig. Die kleine Luise muß Ferien von ihrem Ich machen. Als Mädel ist es ihr hundsmiserabel gegangen, ausgenommen die letzten drei Vierteljahre, wo sie in dem Institut war, aber auch dort mehr Strenge als Liebe, mehr Dressur als Erziehung genossen hat. Heraus soll sie aus ihrer Haut, ein Junge werden, Courage kriegen, dieses Ducken abgewöhnen, wenn eine Hand nach ihr faßt; nein, sich selbst rumhauen mit Buben und Straßenbösewichten und immer bei mir sein und da eine gerechte Behandlung haben.« Ich ging neben dem sonderbaren Manne her, der so Seltsames und Großes an meinem Leben getan hatte, und versuchte nur, ihn wenigstens zum Aufschieben seiner Idee zu bewegen. Er schlug es rund ab.
    Keine Gewalt der Erde, sagte er, werde ihn hindern, das Kind, das es in dem Thüringer Institut viel zu schlecht habe, von dort zu entfernen und es in der Tracht eines Knaben erst mal zur Lebensfreude und zum Bewußtsein seiner Kraft und seines

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