Ferien vom Ich
draußen im Winterwalde wurde mein Herz wieder warm; ich war glücklich. Immer, wenn ich mich glücklich fühle, habe ich Lust, etwas Gutes zu tun. Heute fiel mir nichts anderes ein, als daß ich bald eine Anzahl von Futterplätzen und Nistkästen für die Vögel in meinem Ferienheim anbringen würde, auch auf die Gefahr hin, als Gäste lauter Sperlinge zu mir zu ziehen.
Die Mutter! - Nun würde sie wohl das Haus von unterst zuoberst kehren und alle Leckerbissen bereiten, die sie auftreiben konnte. Wahrscheinlich würde sie meine beiden geräumigen Zimmer für Joachim einrichten und mich nach der Giebelstube umquartieren. Ich war schon wieder eifersüchtig und voll häßlichen Mißtrauens, und es fiel mir ein, daß es besser wäre, sich auf Mutter und Bruder zu besinnen, wenn man was Gutes tun will, als auf die Spatzen . . .
Es lag dichter Nebel auf der Chaussee, als ich mit Joachim heimging. Nicht einmal die Kuppe des Weihnachtsberges war zu erkennen. Die Heimat hatte ihr Haupt verhüllt wie eine schmollende Frau. Und Joachim ging stumm und betreten neben mir her, fast wie ein Sünder. Er war auch ein solcher; denn er hatte sein Herz verhärtet, und alle Herzensverhärtung ist Sünde.
»Ein Wanderbursch mit dem Stab in der Hand
Kommt wieder heim aus fremdem Land.
Sein Haar ist bestaubt, sein Antlitz verbrannt,
Von wem wird der Bursch wohl zuerst erkannt?«
Es war ganz, wie es Vogel in seinem alten hübschen Gedichte schildert: die Leute kannten Joachim nicht mehr. Er war schon in seinen letzten Studentenjahren selten zu Hause gewesen, als verheirateter Mann fast gar nicht, und dann kamen die Auslandsjahre, da sein Kopfhaar dünn und sein Bart dicht wurde und die Zeit die große Retusche an seinem Gesicht vollzog - er war ein anderer geworden.
In sieben Jahren soll sich der Körper des Menschen ganz erneuern. So wanderte jetzt kein Atom dessen mehr nach der Heimat zurück, was vor sieben Jahren auszog. Hätte Joachim keine Seele gehabt, so wäre wirklich ein ganz fremder, ein ganz anderer Mensch nach Hause gekommen. Dem Bäcker Schiebulke begegneten wir. Er war Joachims Angelkamerad gewesen. Jetzt fühlte er sich geehrt, daß ich ihn auf der Straße anhielt, und eilte gewiß alsbald ins nächste Gasthaus mit der Kunde, daß ein Dr. Harton aus New York angekommen sei als zweiter Arzt für das Ferienheim, und es müßten doch schon massenhaft Kurgäste angemeldet sein, wenn man schon einen zweiten Arzt brauche.
Auch der alte Sanitätsrat lief uns in den Weg. Er war ja zwar nicht gut auf mich zu sprechen, aber er ging doch nicht an uns vorbei und begrüßte den »Herrn Kollegen von drüben«, den ich ihm vorstellte. Auch die Frau Provisor, von der erzählt wurde, sie hätte, als sich Joachim verlobte, mit negativem Erfolg zwei Schachteln schwedischer Zündhölzer abgelutscht, um ihr gebrochenes Herz zum Schweigen zu bringen, sah den ehemals Heißbegehrten jetzt nur neugierig an und ging vorüber.
So näherten wir uns dem Johannisplatz. Joachims Schritte wurden kleiner und langsamer, sein Stock stampfte hart auf das Pflaster. Irgendwo stand wohl jetzt der Mond; denn der Nebel über dem Johannisplatz war durchsichtig und silberhell.
»Der alte Brunnen!« sagte Joachim leise; »es ist merkwürdig, daß meine Gedanken meist um den alten Brunnen gingen, wenn ich an die Heimat dachte.«
Nun näherten wir uns dem Vaterhause und standen am Brunnenrand; da blickte wirklich wie in alten Kindertagen die Mutter auf uns herab.
Joachim stützte sich auf das Gemäuer, und weiße Tropfen aus der Schale Baptistas besprengten seine Hand wie mit einem Weihwasser, ehe er in das Heiligtum seines Vaterhauses eintrat. Ich stieg mit ihm die Treppe hinauf und öffnete nach leisem Klopfen die Tür zur Mutter.
Ich sah noch, wie beide mit leisem Aufschluchzen die Arme ausbreiteten, schloß die Tür und blieb draußen.
Weihnachten
Stefenson ist an dem von ihm angegebenen Tage nach Hause gekommen. Auf meine Frage nach der kleinen Luise entgegnete er grob, ich solle mich nicht in seine Privatangelegenheiten mischen; hätte ich mich früher nicht um das Kind gekümmert, wo es das Mädel nötig gehabt hätte, so sei meine Anteilnahme jetzt völlig überflüssig. Das gleiche könne er auch nur mit Bezug auf meinen Bruder sagen; er hätte sich jetzt schon Vorwürfe über dessen Berufung gemacht. Da könnten bloß Schwierigkeiten entstehen.
»Mister Stefenson«, sagte ich, »Sie benehmen sich wie ein Drache, der die verwunschene Jungfrau
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