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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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behütet.«
    »Drache hin, Drache her; ich geb’ sie nicht heraus«, knurrte er.
    »Das sollen Sie ja gar nicht; wir überlassen Ihnen ja das Kind.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich!«
    »Na, dann ist es gut!«

    Stefenson hat die Waltersburger zu einem Festabend im großen Theatersaal des neuen Rathauses berufen (der Name Rathaus ist beibehalten worden, obwohl wir keinen eigenen Bürgermeister haben werden). Dieser Theatersaal ist Hals über Kopf fertiggestellt worden. Er könnte schöner sein. Aber er ist geräumig, und die Akustik ist gut. Auch ist eine hübsche Liebhaberbühne da. Sonst sieht es im Rathaus noch sehr wild aus, und es gehört viel Tannenreisig dazu, um die unfertigen Wände, Kalkkübel und Schutthaufen zu maskieren, die in der Nähe des Treppenhauses einen unschönen Anblick bieten.
    Der Lehrer Herder hat ein Melodram geschaffen. Der Mann dichtet, komponiert und malt. Über braven Dilettantismus geht es bei Herder nirgends hinaus, aber er schafft für den Hausbedarf brauchbare, gefällige Sächelchen.
    Die Einladung ist wieder an alle Volkskreise ergangen nach dem Noahrezept: »Von jeder Art ein Pärchen.« Dazu sind alle Kinder geladen, die zum großen Teil bei dem Melodram mitspielen. Die Tatsache, daß die Kleinen auf Stefensons Kosten die Gewänder geliefert erhielten, die zu ihren Rollen gehören, hat dem Spender vollends die Sympathie der Stadt verschafft.
    Der Festsaal war denn auch beängstigend voll - zugleich für Joachim die große Probe, ob er erkannt werden würde oder nicht.
    Er wurde nicht erkannt. Die Leute betrachteten ihn mit der Neugier, die dem überseeischen Arzt galt, von dessen Ankunft sie alsbald mit der gläubigen deutschen Ausländerverehrung gesagt hatten, nun müsse es wirklich eine gute Kuranstalt werden, da sogar ein amerikanischer Arzt mittue. Von der Zeit an schienen den Waltersburgern die Neustädter geschlagen; denn Neustadt hatte nur deutsche Ärzte.
    Ich besuchte diese harmlose Weihnachtsfeier mit erregtem Herzen. Einige Tage vor dem Festabend war mir Herder begegnet und hatte mir mitgeteilt, daß nun in seinem Melodram sogar die eigene Nichte von Herrn Stefenson eine Hauptrolle übernehmen und ein kleines Liedchen singen würde. Ich verbarg mühsam meinen Schrecken.
    Herder erzählte weiter:
    »Ich habe mit der Kleinen - die Leute sagen, es sei die Tochter des amerikanischen Petroleumkönigs - eine Probe gemacht. Sie hat eine allerliebste Stimme, aber sie erscheint etwas schüchtern.«
    Ich verabschiedete mich und ging sofort zu Mister Stefenson.
    »Es ist unerhört . . .«
    Er wußte augenblicklich, was ich meinte.
    »Gar nichts ist unerhört«, unterbrach er mich rauh. »Die Nichte von Mister Stefenson kann auftreten und singen, wo sie will. Sie muß auftreten, sie muß ihre Schüchternheit überwinden. He, Sie scheinen nur ein schöner Psychologe zu sein, wenn Sie solche Momente außer acht lassen wollen.«
    Was hatte es für Zweck, sich mit diesem Manne zu zanken? Nun mußte eben durchgehalten werden . . .
    Die Mutter saß mit Joachim, mir und Stefenson in einer Seitenloge, nahe der Bühne. Ich sah und hörte kaum etwas von dem Melodram, von dem Gewimmel von Zwergen, Kobolden, Nußknackern, Pfefferkuchenmännlein, Tiergestalten, Besenbinderbuben und all den Mannschaften, die zum üblichen Weihnachtsstück gehören; ich wartete mit Herzklopfen auf den Weihnachtsengel, als dessen Darstellerin Miß Stefenson aus Chikago auf dem riesigen roten Theaterzettel angegeben war. Nun war nur noch das letzte »Bild« übrig, nun mußte Luise auftreten und damit die Entscheidung kommen. Der Vorhang hob sich. - Eine Bethlehemsgrotte. Die heilige Mutter mit ihrem Kind, Joseph, die Hirten, die drei Könige; rings in Anbetung versunken knieten Zwerge, Besenbinder, Pfefferkuchenmännlein. Es war alles in halber Nacht, nur von einem mattroten Schein erhellt.
    Da erschien plötzlich ein Licht über der Grotte, ein wunderschönes Engelein trat in den hellen Schein und sang mit zittrigem Silberstimmchen:

»Vom Himmel hoch, da komm’ ich her
Und bring euch allen frohe Mär':
Geboren ist in Davids Stadt
Er, der des Lebens Fülle hat.«

    Die Mutter saß wie starr. Einmal tastete ihre Hand nach der meinen und drückte sie in kurzem, heftigem Erschrecken. Dann war sie regungslos. Die ganze Gemeinde saß in Andacht.
    Joachim war ganz gleichmütig. Als der Vorhang gefallen war, sagte er:
    »Mister Stefenson, Ihre Nichte ist ein reizendes Kind!«

    Die Mutter wollte sofort nach Hause. Ich

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