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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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vor und sprach einige aufklärende Sätze. Zuletzt sagte ich: »Herr Vorsteher, fragen Sie die Frau, ob sie gesetzlichen Anspruch auf dieses Kind habe!«
    Er entfernte sich, ging zu der Frau, wies alle Leute beiseite und sprach leise auf sie ein. Sie stand tiefgesenkten Hauptes mit herabhängenden Armen, heftig schluchzend vor ihm. Nun tat er wohl die Frage: »Haben Sie einen gesetzlichen Anspruch auf jenes Mädchen?«
    Da schüttelte sie den Kopf. Ein Blick voll Wehes traf noch unser Wagenfenster, dann verließ die Frau den Bahnhof. »Wer war die böse Frau?« fragte Luise verängstigt.
    »Eine Verrückte«, sagte Stefenson rauh.
    »Wird sie nie wieder zu mir kommen?«
    »Nein, nie wieder!«
    Wie lange doch der Aufenthalt noch währte! Die Leute spazierten draußen und gafften neugierig nach unserem Fenster. Ich zog den Vorhang vor. Endlich setzte sich der Zug langsam wieder in Bewegung. Aber kaum hatte er den Bahnhof verlassen und fuhr noch nicht mit voller Geschwindigkeit, da gab es einen gewaltigen Ruck und Stoß, und der Zug stand. Ich riß das Fenster auf. Von der Lokomotive sprang der Heizer ab, Schaffner eilten den Bahnsteig entlang - ein Schaffner kam zurück und gab uns Auskunft. . .
    Über das Feld rannte jene Frau . . .
    Das Weib hat sich dicht hinter dem Bahnhof auf die Schienen geworfen, und der Lokomotivführer hatte den Zug noch rechtzeitig zum Stehen gebracht.
    Luise war auf die Sitzbank geklettert und schaute durchs Fenster. »Da rennt sie - da rennt die böse Frau!« rief das Kind.
    »Laß das verrückte Weib!« knirschte Stefenson.
    Wir fuhren weiter. Grauer Nebel zog über die Fluren, frierende Vögel saßen auf den Telegraphendrähten, alles, was draußen war, fror, die Bäume und die Berge, die Tiere und die Menschen. Die eine irrte nun allein mit dem aufgeschreckten Weh verschmähter Mutterliebe im Herzen durch die kalte Flur, das Kind hatte sich vor ihr entsetzt, und selbst der Tod hatte sie verschmäht.
    Stefenson saß finster in seiner Ecke.
    Das Kind begann wieder zu sprechen.
    »Alle verrückten Menschen sind sehr böse.«
    Da brummte sie Stefenson an:
    »Das kann man nicht sagen, du Gänschen! Manche Menschen können nicht mal richtig dafür, daß sie verrückt sind.«
    »Wieso nicht?«
    »Das verstehst du nicht. Das versteht selbst unter den großen Menschen von Tausenden kaum einer richtig.«
    »Du hast aber gesagt, sie ist verrückt, und du hast es böse gesagt«, verharrte das Kind.
    »Dann habe ich eben eine Dummheit gesagt. Denn ich kenne die Frau nicht und kann daher auch nicht wissen, ob sie verrückt oder böse ist.«
    »Böse ist sie«, wiederholte Luise; »denn sie hat mich sehr gequetscht und mich in die Wange gebissen. Sie soll nicht wiederkommen.«
    Grau rann der Regen über das Wagenfenster.
    All unsere frohe Laune war dahin. Schwache, gedrückte Menschen, saßen wir da im Zuge, der uns schnell davonführte und eine große Strecke zwischen uns und die Sünderin legte, die uns gestört hatte in unserer Behaglichkeit und die wir daher nicht rasch und rauh genug abschütteln konnten. Der göttliche Freund Mariens von Magdala fiel mir ein. Wie hätte er wohl gehandelt in meinem Falle. Hätte er die Arme auch beiseitegestoßen, sich einen Beamten kommen lassen und sich hinter »gesetzliches Recht« verschanzt? Wäre er dann weitergefahren, fast hinweg über den zuckenden Leib, und hätte er der Fliehenden nachgeschaut vom sicheren Fenster aus, mit hochmütigem Abscheu in der Seele? Oder wäre ihr der Meister nachgegangen, hätte sie an der Hand genommen und ihr, wenn sie guten Willens war, ein Zweiglein vom verlorenen Mutterkranz wieder versprochen, ihr ein klein wenig goldene Kindesliebe für die Zukunft verheißen? Ferien vom Ich!
    Ich werde mich vor allen Dingen erlösen müssen von allem kalten Hochmut des Herzens und allem auch noch so »gesetzmäßigen« Zurückstoßen der Schwachen und Schuldigen ...

Bauernanwerbung

    In S. mieteten wir einen Wagen und ein Pferd und machten ein paar ergebnislose Besuche auf den umliegenden Dörfern. Wie die Werber für eine Freiwilligenlegion kamen wir uns vor. Auf der Landstraße trafen wir aber eines Tages ein Bäuerlein, das in einem großen bunten Taschentuche allerhand Waren eingepackt trug, die es wohl auf dem Markte erstanden hatte.
    Ich schaute den Bauern prüfend an. Er hatte ein offenes, nicht unkluges Gesicht. Und der Mann ging zu Fuß und trug sein kleines Paket. Das war einer für uns. An die reichen schlesischen Bauern

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