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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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begleitete sie. Wir gingen stumm in dem Menschenstrom. Erst als wir daheim angelangt waren und die Lampe angezündet hatten, sah mich die Mutter voller Angst an.
    »Fritz - das Kind - dieses Kind . . .«
    Ich sah ihr ernst in die Augen und schwieg.
    »Fritz - sage mir - ist es - ist es . . .?«
    »Ja. Es ist Luise.«
    Da sank sie auf das Sofa und verbarg den Kopf. Ich trat zu ihr. Nicht ohne Bitterkeit sagte ich:
    »Mutter, du brauchst dich nicht zu ängstigen, das Kind wird dir nie Ungelegenheiten machen; es ist in Mister Stefensons Pflege gut aufgehoben.«
    So wollte ich gehen. Aber ich brachte es doch nicht fertig. Ich blieb am Tische sitzen. Nach langer Zeit, in der nichts zu hören war als das leise Singen der Lampe und der Schlag unserer Standuhr, stützte die Mutter den Kopf auf den Tisch und sagte müde:
    »Das Kind ist Joachim ähnlicher, als er sich jetzt selbst ist!« Nach einem Weilchen meinte sie:
    »Es wird wohl keine Möglichkeit geben, daß ich das Kind zu mir nehme?«
    »Nein, Mutter, es gibt keine solche Möglichkeit mehr!« Damit ging ich nach meinem Zimmer.

Fügung…!

    Joachim wohnt jetzt in der Lindenherberge, wo schon einige Zimmer fertiggestellt sind und auch der Küchenbetrieb schon im Gange ist. Im Rathaus gegenüber haust Stefenson. Er hat seine Arbeitstätigkeit noch vermehrt und, wie er mir sagte, keine Zeit mehr, Luises willen täglich nach Neustadt zu fahren und sich um das »Gänschen« zu kümmern. So wolle er das Mädel lieber zu sich nehmen. Das sei ihm zwar sehr störend, aber was wolle er machen? Er hätte auch gefunden, daß die Pflegeeltern in Neustadt die Sache mit Luise nicht recht verständen. Ich grunzte. Sonst sagte ich nichts . . . Die weitere Ausgestaltung unserer Riesenanstalt schritt mit größter Schnelligkeit vor sich. Da sagte Mister Stefenson eines Tages zu mir:
    »Und nun, mein Lieber, ist es die allerhöchste Zeit, daß wir an die Bauernrequirierung gehen. Zehn Höfe sind fast fertig, das Vieh ist rasch zu beschaffen, ebenso die Haus- und Ackergeräte, aber das Bauernvolk, das uns einpaßt, das will gesucht sein. Ich hatte anfangs an Agenten gedacht, aber das ist nichts; die gehen bloß auf ihre Provision aus und schicken uns Schinder und Plunder auf den Hals. Haben Sie also die Freundlichkeit, sich in einen Vieh- oder Getreidehändler oder, wenn Ihnen das besser liegt, in einen Gütermakler zu verwandeln und mich morgen auf die Bauernsuche zu begleiten.« Nun, diese Aufgabe paßt mir, zumal ich Stefenson bereit fand, unser Glück zunächst in Schlesien zu probieren. Ich bestimmte die Ausrüstung. Schaftstiefel, englische Lederhosen, eine Joppe aus grünem Tuch mit Hirschhornknöpfen und grüner Tascheneinfassung, ein Vorhemd ohne Schlips, ein seidenes Tüchlein um den Hals, eine Lodenmütze, das war meine Ausrüstung. Solcher Kleidung bringen die Bauern Zutrauen entgegen, da vermuten sie keine verkniffenen Städter, keine »Juden oder Winkeladvokaten«, die sie übers Ohr hauen wollen.
    Es wäre alles gut gewesen, wenn nicht Stefenson am nächsten Morgen, als die Reise losgehen sollte, die kleine Luise mitgebracht hätte.
    Ich schlug Skandal. Was er sich einbilde, ein so kleines Kind auf so lange Reise mitzuschleppen? Ob er denn nicht bedächte, daß uns das Mädel nur stören und aufhalten würde? Es war alles umsonst; Luise fuhr mit.
    »Pappa hat mehr zu sagen als der Onkel«, sagte die Kleine mit einem Anflug von schnippischem Ton.
    »Sie macht sich heraus; sie fängt an, Courage zu kriegen«, sagte der »Pappa« anerkennend.

    Auf einer größeren Station stiegen wir während des Zugaufenthaltes aus, um dem Kinde Orangen zu kaufen. Noch als wir am Stande des Obsthändlers waren, näherte sich uns eiligen Schrittes eine Frau. Sie starrte erst mich an, dann das Kind, faßte es blitzschnell an der Hand, riß es an sich und küßte es wie rasend.
    Das Mädel schrie erschrocken auf, Stefenson sagte betroffen: »Aber, Madame, was tun Sie?«, und ich wand der Frau das Kind aus den Armen. Neugierige Leute eilten herbei; es gab gewaltiges Aufsehen.
    »Zurück in den Wagen!« rief ich Stefenson zu, der mir verwirrt folgte. Bald saßen wir im Abteil, und die Tür flog zu. Draußen schrie eine gellende Stimme.
    »Es ist mein Kind - es ist mein Kind - laßt mich zu meinem Kinde! Luise! Luise!«
    Die Leute hielten die Frau, die sich verzweifelt wehrte, an den Armen fest; der aufsichtführende Beamte eilte an unser Abteil und begehrte Auskunft, Ich stieg aus, stellte mich

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