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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Hof am Hange, Berghof, Sonnenhof, aber es gibt auch eine Waldschölzerei, eine Heimwehfluh, eine Steinmühle, eine Genovevenklause, eine große und eine kleine Einsiedelei, ein Haus »Über den sieben Bergen«, ein »Old Nigger home« (nach Stefensons Wunsch), eine Heideheimat, eine Juxherberge, eine Meierei »Zum Gelben Kakadu«, ein Knusperhäuschen, eine Kassubenhütte, ein Zigeunerlager und eine Räuberhöhle.
    Mit Romantik ist nicht gespart. Tradition fehlt ja leider allen diesen Dingen, aber sie wird sich bald finden; wir haben pfiffiges Bauernvolk ausgewählt, und das dichtet in seiner kräftigen Seele soviel zusammen, daß sich alsbald allerhand Geschichtlern um unsere Siedlungen spinnen werden, schneller als der Efeu wächst, den wir an mancher Wand einpflanzten, oder als das Moos wuchert, das wir auf schräge Dächer legten. Das größte Glück ist die Freude am gelungenen Werk, ein Abglanz des erschütternden Titanenjubels, der Gottes Brust durchloht hat, als er im Glanz von Millionen Sonnen die Schöpfung vor sich sah.
    Auch ich bin nie so glücklich gewesen wie in dieser Zeit der Gründung unseres Heimes, nie so selig, gläubig und am Leben hängend, nicht einmal in der Kinderzeit, die doch alle Tage Schöpferjubel bringt, und sei die Veranlassung auch nur eine gelungene kleine Schanze im Bach oder die zum erstenmal geglückte Schleife des Schuhbandes.

    Die Mädchen sind gekommen. Gestern. Sie kamen am Vormittag und wollten schon mit dem ersten Abendzug wieder abreisen trotz der Einladung, ein paar Tage dazubleiben und bei Frau Susanne im Forellenhof zu wohnen.
    Eva Bunkert war zurückhaltender als bei unserer ersten Begegnung. Sie konnte es sich zwar nicht versagen, nach Betrachtung des Baches, der an Barthels Hof vorbeifließt, zu behaupten, in diesem Gewässer lebe keine einzige Forelle, weshalb der daranliegende Hof wahrscheinlich »Forellenhof« heiße, aber es sei ja bekannt, daß Namen fast immer täuschen, wie zum Beispiel körperlich etwas zurückgebliebene Männlein mit Vorliebe Siegfried hießen oder oft keifende Xanthippen mit den holden Namen Mariechen oder Trautchen begabt seien.
    Nach dieser Abschweifung ins Schnippische wurde das Mädchen ernster. Sie betrachtete den großen Forellenhof von innen und außen und sagte mit einem Seufzer:
    »Es ist schön hier. Ich glaube, man kann in einem solch einfachen Hofe glücklicher sein als in einem prunkenden Hotel. Wenn ich es einrichten kann, werde ich wirklich einmal hier Ferien vom Ich machen.«
    »Ich möchte es wohl auch«, sagte die kleine Anneliese, »aber für mich ist so etwas viel zu teuer.«
    »Du, meine Liebe«, lachte Eva Bunkert, »du müßtest ganz andere Ferien vom Ich haben - Weltstadtleben, Theater, Bälle, Autofahrten -, man muß das haben, was einem fehlt.«
    »Mir würde nichts fehlen in solchem Frieden«, sagte die kleine Braune.
    Ich ging mit den Mädchen durch unser Gelände, führte sie nach dem Rathaus, nach der Lindenherberge, den Stillen Weg hinab über die Genovevenklause, und als ich nach der Waldschölzerei weiter wollte, passierten wir das Zeughaus und das große Eingangstor. Dort gab es eine Auseinandersetzung zwischen einem fremden Herrn und dem Türschließer. Der Herr, der im Reiseanzug war und eine kleine Handtasche trug, verlangte in ungestümer Weise mich zu sprechen, während der Diener entgegnete, der Herr Doktor sei aufs dringendste und unabkömmlichste beschäftigt, und unsere Anstalt würde überhaupt erst am ersten Mai eröffnet. Der Fremde ließ sich nicht abweisen, und als er mich erblickte, rief er:
    »Ich möchte wetten, daß jener Herr der Doktor ist!« Damit schob er den Diener beiseite und kam auf mich zu. »Gestatten Sie, mein Herr, eine kurze Viertelstunde?«
    »Sie sehen, ich habe Besuch!«
    »Jawohl - es tut mir auch leid, Sie stören zu müssen, aber ich habe nur eine Viertelstunde Zeit. Wenn ich mich vorstellen darf: George Brown, Mitarbeiter der >Staatsbürgerzeitung< in New York. Ihr Geschäftsfreund, Mister Stefenson, hat mich persönlich gebeten, Sie zu besuchen und Ihnen dieses Schreiben zu überreichen.«
    Er übergab mir einen Brief, den ich mit Erlaubnis der Damen öffnete und stellenweise vorlas:

    »New York, den 25. März.
    Mein Lieber!
    Sie wollen nie recht zugeben, daß ich Sie genau kenne, aber mein Spürsinn ist, was Sie anlangt, so groß, daß ich hier viel tausend Meilen von Ihnen prophezeie, ohne besorgt zu sein, einen Irrtum zu begehen: Wenn Sie diesen Brief durch Mister

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