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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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verärgert.
    »Gewiß nicht«, sagte der Journalist, »aber manches fliegt einem halt so zu. Wenn es Spaß macht: ich kenne noch ganz andere Schwächen Ihres Geschäftsfreundes.«
    »Danke!« wehrte Eva ab, »es macht gar keinen Spaß!«
    Ich dankte auch. Wenn dieser Mann wirklich Stefenson war, so war es das Dümmste, auf Stefenson zu schimpfen; denn er würde dann noch weit heftiger auf sich selbst schimpfen. Das mußte ich doch von seinen Artikeln her wissen. Auf solche Weise konnte ich dem alten Fuchs den Bart sicher nicht scheren.
    Da kam mir eine Bemerkung von Anneliese zu Hilfe. »Damals hatte doch Herr Stefenson seine Tochter mit sich. Hieß sie nicht Luise?«
    Ich jubelte innerlich, und die Schlechtigkeit, einem Menschen aus einer seiner edlen Eigenschaften heraus eine Falle zu stellen, kam mir gar nicht zum Bewußtsein. Ja, ich beging eine neue Schlechtigkeit, ich schwindelte. So stark war das Verlangen, diesen Journalisten, wenn er wirklich Stefenson war, als Stefenson zu entlarven.
    »Allerdings«, entgegnete ich meiner Nachbarin, »Stefensons Tochter heißt Luise. Das Kind hängt sehr am Vater und er an ihr. Er wollte sie durchaus mit auf die Reise nehmen, aber das gaben wir anderen nicht zu. Und es war auch sehr gut; denn das Kind ist nicht wohl.«
    »Wieso nicht wohl?« fragte Mister Brown, und das in einer solch erschreckten Weise, daß ich jetzt meiner Sache völlig sicher war.
    »Ah, so - so . . .«, entgegnete ich gleichgültig, »bei Kindern findet sich leicht mal etwas; das ist nicht so tragisch zu nehmen.«
    »Ich finde«, sagte Mister Brown scharf, »wenn ein Mann wie Stefenson ein einziges Kind hat, ist es Pflicht, ihm sofort telegraphisch Mitteilung zu machen, wenn dieses Kind ernstlich erkrankt.«
    »Von ernstlicher Erkrankung habe ich nicht gesprochen«, entgegnete ich ruhig, und diese Bemerkung war auch sehr angebracht; denn im selben Augenblick stürmte die kleine Luise mit zwei Bauernbengeln unter großem Hallo aus dem nahen Walde. Das Mädel hat sich bei uns inzwischen völlig eingerichtet, und von Schüchternheit ist gar keine Rede mehr. Jetzt kam sie auf mich zugestürmt.
    »Ach, Onkel - ich wußte gar nicht, daß du hier oben bist. Wir spielen gerade Haschen.«
    Anneliese liebkoste das Kind, und Eva Bunkert kniff es in die Wangen, daß es quiekte. Aufmerksam betrachtete Eva die Züge Luises. »Von ihrem Vater hat sie gar nichts«, sagte sie, »sie muß ganz nach der Mutter sein.«
    »Im Gegenteil«, entgegnete ich, »das Kind ist das ganze Abbild des Vaters.«
    »Dann habe ich auf ihn vergessen«, sagte Eva mit fast trauriger Stimme.
    Mister Brown atmete schwer. Ein so schwefelgelb giftiger Blick schoß um den Buchenstamm herum auf mich zu, daß ich meiner Sache immer gewisser wurde. Und was hatte dieser Journalist gesagt? Er habe es sehr eilig, nur eine Viertelstunde Zeit zum Besuch. Jetzt war er schon über zwei Stunden da, und es wurde Abend. Wahrscheinlich würde dieser »Mister Brown« plötzlich entdecken, daß er Zeit habe, einen ganzen Monat bei uns zu verweilen. Nun wandte er sich Luise zu. Aber es kam nicht so, wie ich dachte. Mister Brown legte ohne jede wärmere Gefühlsbewegung dem Kinde die Hand auf den Kopf und sagte mit der üblichen Kinderfreundlichkeit:
    »Luise, ich kenne deinen Papa. Ich fahre wieder zu ihm, ich werde ihm von dir erzählen. Bist du sehr krank gewesen?«
    »Papa soll bald wiederkommen«, antwortete die Kleine.
    »Ja, ja! Aber ich frage, ob du sehr krank gewesen bist?«
    »Wieso? Ich bin nie krank!?«
    »Aber hast wohl müssen im Bettchen liegen oder im Zimmer bleiben?«
    »Nein, ich bin alle Tage draußen herumgerannt; ich war gar nicht eine einzige Stunde krank.«
    »Hm!«
    Mister Brown grunzte voll Behagens, und ich fühlte mich in der Rolle des blamierten Europäers nicht recht wohl. So mahnte ich zum Aufbruch. Die Mädchen schlenderten mit dem Kinde voraus, und ich folgte mit Mister Brown in einiger Entfernung. Jetzt wollte ich dem Fuchs an den Kragen. »Ich finde eine merkwürdige Ähnlichkeit zwischen Ihnen, Mister Brown, und meinem Freunde Stefenson. Sie haben dieselben Augen, dieselbe Nase, dasselbe Kinn und dieselbe Sprache, ja sogar dieselbe Art, sich zu räuspern. Ist das nicht merkwürdig?«
    »Sehr merkwürdig!« entgegnete Brown. »Ein Schnorrer drüben hat mir mal gesagt, ich sähe Kaiser Wilhelm ähnlich. Dem habe ich es noch halb und halb geglaubt und ihm fünf Prozent dessen geschenkt, um was er mich anpumpen wollte, aber eine

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