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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Brown erhalten werden, werden Sie gerade mit den Damen Eva Bunkert und Annelies von Grill einen sehr vergnügten Spaziergang durch unser Heim machen. Ich beglückwünsche Sie dazu und bitte, mich den Herrschaften zu empfehlen. Was Mister Brown anlangt, so empfehle ich Ihnen, diesen Herrn recht rücksichtsvoll zu behandeln, ihm nicht etwa zu sagen, Sie hätten gerade Besuch und daher keine Zeit für ihn. Denn Mister Brown ist einer der einflußreichsten Journalisten in den Staaten, und wir werden den Zuzug aus Amerika für unsere nach deutschen Normalbegriffen immerhin etwas merkwürdige Anstalt recht nötig haben.
    Grüßen Sie Luise von ihrem Papa, der sich sehr nach seinem Gänschen sehnt, aber noch nicht weiß, wann er zurückkehren kann.
    Stefenson.«

    Ich schaute verwunderte auf Brown, den Überbringer dieser seltsamen Epistel. Brown war ein Fünfziger, der Kotelettbart und der Schnurrbart sowie die gescheitelten Haare waren stark angegraut, der Anzug etwas geschniegelt modern, die Wangen, wie mir schien, wohl ein wenig geschminkt. Irgend etwas an dem Mann kam mir bekannt vor, auch in seiner heiser klingenden Stimme. Vielleicht war ich ihm mal drüben begegnet. Ich fragte ihn, ob er auf dem letzten großen Preßkongreß in Baltimore, den ich besucht hatte, gewesen sei, und er erwiderte, daß er daselbst eine Rede gehalten hätte. Daher die matte Erinnerung.
    Die Mädchen verwunderten sich nicht weniger über die seltsame Prophezeiung in dem Stefensonschen Briefe als ich. Ich sagte, ich könne mir das überraschende Eintreffen einer solchen Voraussage nur dadurch erklären, daß Stefenson vermutet habe, die Damen befänden sich für längere Zeit in unserem Heim, ich mache mir wahrscheinlich öfters das Vergnügen, sie auszuführen, und es könne sich wohl so fügen, daß uns Mister Brown zusammen anträfe. Daraufhin weissage ein Mann wie Stefenson eben drauflos. Treffe es nicht ein, schade es nicht, treffe es aber infolge seines Glückes ein, sei es ein guter Bluff.
    Brown schüttelte den Kopf. »Mister Stefenson ist kein Bluffer, er weiß immer, was er sagt.«
    »Sie kennen Mister Stefenson persönlich?« fragte Eva Bunkert mit unverhohlenem Interesse.
    »Mein gnädiges Fräulein«, erwiderte Brown, »ich kenne alles, was man in New York und in den Staaten kennen muß.«
    »Und Mister Stefenson gehört zu dem, was man in Amerika kennen muß?«
    »Ja, er gehört dazu.«
    Der Journalist schloß sich unserem Rundgang an. Meist verhielt er sich schweigsam, sprach über das, was er sah, weder Lob noch Tadel aus, bat nur, sich von Zeit zu Zeit eine Notiz machen zu dürfen, und stellte außerordentlich sachverständige Fragen, Fragen, die ich, sobald sie sich in technische Einzelheiten verliefen, oft gar nicht beantworten konnte. Das Nigger-Home gefiel dem Amerikaner. Es war düster in der niederen Stube; wir zündeten ein paar mattbrennende Petroleumlampen, die an den Wänden hingen, an, um die Illusion zu verbessern. »Nun müßte jemand einen Niggersang anstimmen«, sagte Brown. Da stand auch schon Eva Bunkert an die Wand gelehnt, schränkte die Arme über der Brust und begann mit wohllautender Stimme zu singen:

»Way down upon the Swaney ribber
Far far away . . .
There’s, where my heart is turning ebber,
There’s, where the old folks stay . . .«

    Sie sang dieses schwermütigste aller Heimwehlieder mit tiefer innerer Bewegung, und Mister Brown summte mit näselndem Tone die Begleitung dazu, so wie es die Neger tun, wenn fern der Heimat einer der ihrigen an der Wand lehnt und das innerste Weh der weltverschlagenen, geknechteten Seele im Liede ausströmen läßt. Dann summen sie alle mit, die Körper werden regungslos, und die großen, heißen Augen starren ins gelbe Licht der matten Lampen . . .
    Wir gingen weiter und kamen an den Hof am Hange. Dort steht eine große Buche, um die eine Bank läuft. Von hier aus kann man unsere ganze Siedlung überschauen. Warmes Frühlingslicht spielte durch laue Luft, die Zweige trugen alle die kurzen, grünen Kinderkleidchen erster Jugend, die Vögel waren heimgekommen und übten und probten in abgerissenen Trillern und Läufen das große Lebens- und Liebesleid des Maien ein. Da wurde mir das Herz weit. Unsere Siedlung war schön, keine langweilige Linie in ihr, kein Steinkoloß, keine Erinnerung an geschniegeltes, ödes Geputztsein, sondern Heimatlichkeit, Wärme, Frieden.
    »Wenn man das sieht«, sagte die kleine Anneliese, »meint man, hier werden immer nur gute Menschen

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