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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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mühseligem Marsch gegen die Feuerschlünde der Feinde schleppt - er würde auf seiner furchtbaren Reise erlahmen, liegenbleiben, verzweifeln nach der dritten oder vierten Stunde, wenn er allein wäre. Aber der Rhythmus der Masse hält seine Glieder in Gang; am klingenden Bewußtsein der Gegenwart von tausend anderen hält er sich aufrecht.
    So ist es hier auch. Nimm den einzelnen Kulturmenschen, setze ihn in eine Bauernstube, heiße ihn leben und arbeiten, wie es ein Bauer tut, und das Heimweh packt ihn am achten Tage und treibt ihn davon. Mit Hunderten, ja mit Tausenden seinesgleichen aber ist er glücklich, legt er alle Tage Strecken auf dem Wege der Gesundheit zurück, deren er sonst nie fähig wäre, kommt er trotz aller Anfeindung durch sein bequemes, verzärteltes, tyrannisches Ich zum Siege.

Lorelei

    Mein Bruder Joachim guckte über den Gartenzaun. Und als sich die Gesellschaft auflöste zum Abendspaziergang, fügte es sich leicht, daß Eva und Annelies, Joachim und ich uns zusammenschlossen. Im Poetenwinkel der Lindenherberge standen die Fenster offen, da sangen zwei junge Männer zur Laute:

»Rosenbusch holderblüh’,
Wenn i mei Mädle g’sieh -«

    Wir blieben stehen und hörten zu. Die Sänger reichten zwei volle Gläser zum Fenster heraus, und unsere Mädchen nippten daran und lachten.
    Annelies hatte meinem Bruder zugetrunken, und es war mir schon aufgefallen, wie seine sonst so ernsten Augen aufleuchteten. Dann, als der fröhliche Singsang überging in »Drauß’ ist alles so prächtig und es ist mir so wohl«, bemerkte ich, daß Joachim heimlich nach Annelieses Hand faßte, die ihm das Mädchen traumverloren überließ.
    Eva stand ans Fenster gelehnt. Der Duft der Wiese schlug mir schwer in die Sinne. Glühwürmchen funkelten durchs Gras. Droben im einsamen Hirtenhaus blies auf seinem Waldhorn der freiwillig Verbannte, dessen Liebesleiden ich kenne, Eichendorffs traurige Weise:

»Sie hat einen andern genommen,
Ich war draußen in Schlacht und Sieg,
Nun ist alles anders gekommen,
Ich wollt’, es wär’ wieder Krieg!«

    Über die Wiese gingen zwei langsam dahin: die Frau vom Forellenhof, die sich Magdalena nannte, und die kleine Luise. Das Kind erkannte mich und eilte auf mich zu. Die Frau blieb abgewandt stehen. Da rief die Kleine:
    »Magdalene, Magdalene, kommen Sie doch her! Hier wird so schön gesungen!«
    Die Frau schüttelte den Kopf, wandte sich aber doch langsam um. Und ob es auch schon dämmrig war, der Abend hatte mich scharf sehend gemacht; ich sah, daß das Weib, das dort einsam auf der Wiese stand, Joachims erste Frau, Luises Mutter, war. Der Bruder aber sah sie nicht, und seine Augen waren gehalten, und er erkannte auch sein Kind noch immer nicht. Langsam tastete wieder seine weltmüde und doch immer noch glücksuchende Rechte nach der kleinen Anneliese keuscher Hand.
    »Magdalene, kommen Sie hierher!« rief das Kind abermals und dringend.
    Die aber schüttelte den Kopf und ging davon.
    Das Kind schmiegte sich an mich; vom Berge her klang noch immer die Melodie des Eichendorff-Liedes, und ich sah den Bruder an und hörte aus dem Klange des Hornes die Worte:

»Ich aber war weit schon gegangen,
Jetzt sieht sie mich nimmermehr.«

    Die Nacht war schwüler als der Abend. Es war, als ob von irgendwoher heiße Gewitterluft über unsere Häupter getragen würde. Ich saß wach am Fenster. Als ich heimgekommen war, hatte ich einen Brief von Stefenson gefunden. Er machte mir Mitteilung, daß er an den Baumeister Bunkert geschrieben habe und ihm die Leitung unserer ferneren baulichen Unternehmungen übertragen wolle. Dann kam der inhaltsschwere Satz des Briefes: »Ich verhehle Ihnen nicht, lieber Freund, daß meine tiefe Neigung für Fräulein Eva Bunkert, deren ich mir inzwischen ganz klar geworden bin, mich zu dem Angebot an ihren Vater geleitet hat. Dieser Neigung werden Sie - dessen versichert mich Ihre ehrliche Freundschaft - immer Rechnung tragen.«
    Wie schwül die Nacht war, wie unruhevoll die Seele, schmerzlicher Wünsche, heißer Angst, tiefer Niedergeschlagenheit voll, da das schöne Traumbild von Liebe und Glück von drohendem Wetterleuchten überstrahlt an meinem Himmel stand.
    Da bäumte sich der Wille im jungen Herzen auf, und ich sagte mir: Oho, mein Freund, wie kommst du dazu, mir den Verzicht auf meine junge Liebe zu befehlen? Steht dieses Recht in unserem Kontrakt? Ist Liebe ein Schacher, in dem du mich überbieten kannst: Bist du mein Herr und ich dein Sklave, dem du

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