Ferien vom Ich
Magdalena, und ich bin wieder der Herr Doktor. Wir kennen uns nicht. Das, was jetzt hier geschah, ist nicht gewesen! Morgen früh bringe ich das Kind. Beruhigen Sie sich, Magdalena, fürchten Sie nichts, ängstigen Sie sich nicht. Das Kind darf sich ja nicht wundern. Es soll ja eine heitere, zufriedene Pflegerin haben. Auf Wiedersehen!«
Ich ließ sie allein.
Meine Mutter hat sich um Luise wenig mehr gekümmert. Sie hat wohl sicher Tag und Nacht an das Kind gedacht, aber nicht nach ihm gefragt. Sie hat keine Freude an dem Mädchen; sie liebt es nicht; sein Dasein aber regt sie auf, läßt sie leiden. Die Mutter kommt kaum alle zwei oder drei Wochen einmal zu mir heraus. Ich glaube nicht, daß sie an meiner Schöpfung viel Freude hat. Sie ist von stockkonservativer Natur; alles Neue erscheint ihr verdächtig.
Ein- oder zweimal hat die Mutter aber doch Luise flüchtig wiedergesehen. Sie ist dann in schwere Aufregung geraten. Und eines Septembertages, kurz nachdem das Kind in der Genovevenklause untergebracht worden war, sagte die Mutter zu mir:
»Ich quäle mich mit dem Gedanken, ob es nicht unrecht ist, Joachim die Anwesenheit seines Kindes zu verheimlichen.«
»Quäl dich nicht, Mutter! Joachim hat bis jetzt dem Kinde seine Anwesenheit auch verheimlicht, ja das Kind nicht einmal wissen lassen, daß er überhaupt existiert.«
»Du sprichst immer recht lieblos von deinem Bruder!«
»Ich spreche so, wie ich nach seinem Verhalten sprechen muß !«
Sie wandte sich beiseite, und ihre feine Gestalt zitterte in Zorn und Trotz.
»Ich werde Joachim aufklären!« sagte sie bestimmt.
»Das wirst du nicht tun, liebe Mutter! Du wirst mit mir warten, bis Joachim menschlich wieder so weit ist, sich von ferne wenigstens seiner Vaterpflicht zu erinnern und sich einmal zu erkundigen, was aus seiner Tochter geworden ist. Laß ihn! Er macht jetzt Ferien von seinem völlig verfehlten Ichleben.«
»Er ist schuldlos an seinem Unglück!«
»Nein! Er ist nicht ohne Schuld.«
»Fritz!«
»Er ist nicht ohne Schuld gegen sich selbst; denn er hat sich durch seinen maßlosen Haß viel tiefer ins Unglück gebracht, als ein kluger Mensch, der sich beherrschen kann, nötig hatte, und er hat sich gegen sein Kind schäbig benommen.«
»Das ist unerhört, was du zu behaupten wagst. Nun werde ich Joachim bestimmt aufklären.«
»Tue es nicht, Mutter, ich rate dir gut. Joachim wird jetzt noch nicht mit dem Kinde Zusammenleben wollen.«
»Nun, so müßte man eben das Mädchen vorläufig noch nach einer guten Pension bringen.«
»Das würde nicht geschehen; sondern wenn eine Trennung nötig wäre, würde Luise hierbleiben, und Joachim würde von mir entlassen werden.«
»Entlassen?«
»Ja, es hat sich so gefügt, daß Joachim gegenwärtig mein Angestellter ist. Er hat einen sehr kurzfristigen Vertrag.«
»Du bist maßlos hochmütig und lieblos!«
»Ich handle so, wie es mir mein Herz und meine Vernunft vorschreiben.«
»Berufe dich nicht auf dein Herz«, sagte sie, »du hast keins!« Und sie ging.
Ich habe in den folgenden Tagen seelisch gelitten. Nicht nur der Mutter wegen, die ich liebe und mit der ich mich so wenig verstehe, sondern auch, weil ich rundum Leute sehe, die sich von der Last ihres Alltagslebens befreit in Ferienruhe des Daseins erfreuen, und ich selbst mitten drin stehe im Ichleben, im Familienjammer.
Und da dämmerte mir, daß es gut sei, wenn ich selbst der Liebe fernbliebe, daß ich in freiem, ungestörtem Zölibat meiner großen Idee am besten dienen könne, Herz und Sinne zwar leer von manchem Glück bleiben würden, aber Arm und Fuß frei von jeder auch noch so goldenen Kette, frei zum Vorwärtsschreiten und Handeln.
Zur Mutter ging ich nach drei Tagen. Ich sprach freundlich zu ihr und sagte ihr, daß ich ihre Natur und ihr Handeln ja begriffe und verstünde. Sie schüttelte zwar das schöne Köpfchen, aber sie ließ sich von mir küssen, und ich stieg fröhlich den Berg wieder hinan. Ich kann nicht lange traurig sein; mein Herz wendet sich ab vom Kummer, wie eine Pflanze sich abwendet vom sonnenleeren Nordhimmel.
Die Schlacht bei Waltersburg
Jeder deutsche Kurort hat seine »Sensation der Saison«, so wie jedes Affentheater seine »größte Attraktion der Gegenwart« hat. Auch unser Ferienheim hatte seine Sensation. Anton, der älteste Sohn des Waldschulzen, will Pauline, die älteste Tochter des Forellenbauern, heiraten, und es hat sich darum eine heiße Schlacht entsponnen.
Die Sache hat eine
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