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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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auf einmal jemand den Korridor entlangeilen.
    Die Tür wurde aufgerissen.
    Magdalena stand vor mir. Mit wirrem Haar, in unordentlicher Kleidung. Entsetzt. Verstört.
    »Helfen Sie - helfen Sie - sie haben mir das Kind genommen.«
    »Was? Was sagst du, Käthe?«
    »Das Kind haben sie mir genommen - Luise - o Gott!«
    »Wer hat es genommen?«
    »Er - Joachim - er ist mit einem fremden Mann gekommen -sie haben das Kind fortgeschleppt - meine Luise - meine Luise!«
    Ich wollte die zitternde Frau auf einen Stuhl nötigen. »Nein, kommen Sie bald - sie haben mich ja in die Kammer eingeschlossen gehabt - eine Stunde ist es wohl schon her, daß sie mit dem Kinde fort sind - ich habe die Kammertür nicht aufgekriegt - kommen Sie schnell - schnell!«
    Die Frau schluchzte und zuckte in namenlosem Schmerz. Ich sah alles wie durch einen Schleier. Wie kam Joachim nach der Genovevenklause? Wer hatte ihm den Weg gewiesen? Plötzlich wurde mir alles klar. Ich war so unvorsichtig gewesen, Joachim zu verraten, daß Luise bei ihrer Mutter sei, und da unsere Mutter wußte, wo das Kind war, fanden sie auch die Frau.
    Oh, ich Tor! Ich sah, daß Käthe am Halse rote Striemen hatte.
    »Hat er dir etwas getan, Käthe? Hat er dich etwa gar geschlagen ?«
    »Ich weiß es nicht. Aber das Kind ist fort, das Kind ist fort!« Sie hatte wohl mit dem Manne gerungen, und er hatte sie mit irgendeinem Helfershelfer in die Kammer gesperrt und das Kind entführt. Der brutale Kerl! Ein wütender Haß gegen ihn schlug in mir auf.
    »Erbarmen Sie sich, Herr Doktor, helfen Sie mir!«
    »Nenn’ mich nicht Herr Doktor, Käthe, nenne mich Fritz! Wir sind Verwandte. Ich werde dir helfen, so gut ich irgend kann.«
    Demütig und furchtsam wie ein geprügelter Hund stand sie vor mir.
    Ich zog mir den Mantel an.
    »Ich bitte dich, Käthe, geh’ nach Hause. Du kannst nichts tun. Ich werde mich sofort auf die Suche machen.«
    »Ich kann nicht nach Hause gehen; ich muß Luise suchen.« Mit irrsinnig flimmernden Augen sah sie mich an.
    »Du kannst nichts tun, Käthe. Ich werde sofort hinab zu meiner Mutter gehen, dort werde ich wahrscheinlich Joachim treffen und mit ihm abrechnen.«
    »Ich will mit. Ich fürchte mich nicht, wenn sie mich auch schlagen.«
    »Du mußt mir jetzt gehorchen, Käthe! Sonst verdirbst du alles; sonst kann ich dir nicht helfen!«
    Da senkte sie stumm den Kopf.
    Wir eilten auf einem Nebenpfade gen Waltersburg hin. Als der Weg nach der Genovevenklause abbog, gebot ich der Frau zu gehen und zu warten, bis ich ihr Nachricht brächte. Sie schlich davon. Aber als ich den Berg hinabeilte, merkte ich, daß mir von ferne ein Schatten folgte.
    Das Haus der Mutter war hell erleuchtet. Die Haustür stand offen. Ich eilte nach dem ersten Stock, nach dem Zimmer der Mutter, und trat ein, ohne anzuklopfen. Mitten in der Stube stand Joachim; er war allein. In offener Feindseligkeit blickten wir uns an. »Wo ist das Kind? Wo ist Luise?«
    »Nicht hier.«
    »Wo ist die Mutter?«
    »Auch nicht hier.«
    »Willst du mir sagen, wo beide sind?«
    »Nein! Aber ich will dir sagen, daß ich das Mädchen der Obhut des Frauenzimmers, dem du es übergeben, entrissen und in eigene Erziehung genommen habe. Morgen früh geht die Reise los. Ich nehme das Kind mit. Das ist mein Recht. Das Kind gehört mir.«
    Ich konnte vor Zorn kaum sprechen.
    »Ah - und es ist wohl auch dein Recht, in eines unserer Häuser einzubrechen und ein wehrloses Weib seiner Freiheit zu berauben?«
    »Das tat ich nur, um sie zu hindern, hinter uns herzuschreien und Skandal zu erregen. Um allen Skandal zu vermeiden, bringt Mutter das Kind schon jetzt nach auswärts.«
    »Oh, wie bist du rücksichtsvoll! Du willst keinen Skandal. Du vergissest nur das eine: daß es ein großer Skandal ist, wenn man sich benimmt wie ein Bandit!«
    »Hüte dich nur!«
    »Ich fürchte mich nicht vor deiner Brutalität. Ich kann dich -wenn es mir beliebt - wegen der Schandtat eines Einbruchs in eines unserer verschlossenen Häuser jeden Augenblick einsperren lassen. Ich werde es höchstwahrscheinlich auch tun und mich um keinerlei Skandal kümmern.«
    »Du nimmst in sehr merkwürdiger Weise Partei für jenes Weib.«
    »Ja, sie steht trotz ihres Fehltrittes gerechtfertigter, ich will ruhig sagen, viel anständiger vor meinen Augen als du!«
    »Das bitte ich mir zu beweisen«, sagte er heiser vor Wut. Ersetzte sich auf eine Tischkante; ich lehnte an einem Schrank ihm gegenüber.
    »Ich erinnere dich daran, Joachim, daß das

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