Ferienhaus für eine Leiche: Schweden-Krimi mit Rezepten (German Edition)
wird, kommt nicht so an, wie er sollte. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass der Impuls überhaupt nicht mehr ankommt.«
»Und dann? Etwa wie ein Kurzschluss, ja? Dann kann ich keine Kontrolle mehr über bestimmte Bereiche meines Körpers ausüben, ja?«
»Ja, so kann man es sehen. All diese Befunde legen eine ernste Diagnose nahe.«
»Welche?« Lundquist spürte den Kloß im Hals, als er sich vorbeugte.
»Es bedeutet, dass du unter Multipler Sklerose leidest.« »Was?«
Lundquist war fassungslos.
Bilder drängten sich in sein Bewusstsein von Menschen, die im Rollstuhl saßen, sich nur noch schwer mit der Außenwelt in Verbindung setzen konnten, die Pflegefall geworden waren.
Er schloss die Augen und lehnte sich in seinem Stuhl weit zurück.
»Nein«, flüsterte er. »Nein. Was soll denn aus Lisa werden? Sie braucht mich doch. Sie hat schon ihre Mutter verloren!«, stöhnte er und kämpfte gegen aufsteigende Tränen. »Es tut mir Leid.« Dr. Palm legte seine kleine Hand auf Lundquists Schulter. »Multiple Sklerose ist eine seltsame Erkrankung, weißt du. Sie verläuft auch nicht bei allen Patienten gleich. Ich kann mir vorstellen, was jetzt in dir vorgeht.«
»Ich werde daran sterben, nicht?«, fragte Lundquist leise und sah seinen Arztfreund an: »Sei ehrlich zu mir!«
»Das kann man so gar nicht sagen«, erklärte Dr. Palm, »Multiple Sklerose ist im Moment noch nicht heilbar – das ist sicher richtig. Sie verschwindet also nicht einfach wieder nach einer gewissen Zeit oder einer bestimmten Therapie. Aber es gibt inzwischen eine Vielzahl wirksamer Medikamente, mit denen man den Verlauf der Krankheit dramatisch aufhalten kann. Interferon. Das bedeutet, dass die Krankheit zwar nicht aus deinem Körper zu verdrängen ist, aber wir ein Fortschreiten verhindern können.«
»Und wo habe ich das her? Ich, ausgerechnet ich, der immer ein häusliches und gesundheitsbewusstes Leben geführt hat? Ich war immer treu, hatte nie irgendwelche Frauengeschichten, rauche und saufe nicht! Wo habe ich das her?«, schrie Lundquist verzweifelt und sprang auf, ging im Zimmer hin und her wie ein gefangenes Tier.
»So einfach ist die Erklärung nicht, Sven. Man ›holt‹ es sich nicht, wie zum Beispiel eine Grippe oder eine Geschlechtskrankheit. Es ist nicht ›ansteckend‹ wie zum Beispiel Aids und es hat, so weit man das heute beurteilen kann, auch nichts mit einer ungesunden Ernährung zu tun.«
»Aha! Wie habe ich es dann bekommen?«
»Die Erkenntnisse, die man in den letzten Jahren gewonnen hat, deuten darauf hin, dass wir es bei Multipler Sklerose mit einer ›Slow-Virus-Erkrankung‹ zu tun haben«, erklärte Dr. Palm etwas schulmeisterlich.
»Was soll das nun wieder sein? Doch ein Virus also?«, fauchte Lundquist, blieb hinter seinem Stuhl stehen und krallte seine Finger so fest um die hohe Lehne, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
»In gewisser Weise schon. So einer, der im Verborgenen lauert, bis er eines Tages durch irgend etwas geweckt wird. Wir wissen nicht wodurch, vielleicht ist es ein Infekt oder ein Ereignis, das uns psychisch aus der Bahn wirft. Und dann wird das Virus plötzlich aktiv und die Krankheit bricht aus.«
»Wie lange noch?«, fragte Lundquist mit zitternder Stimme.
»Hast du die Frage aus einem der Romane, die du so gerne liest?«, fragte Dr. Palm in sanft tadelndem Ton. »Kein Arzt kann so eine Frage beantworten. Niemand kann sagen, wie lange ein Patient noch leben wird, wenn er diese oder jene Erkrankung bekommt. Nicht einmal bei Krebs in fortgeschrittenem Stadium würde ein Arzt sich zu so einer Frage mit einer Zeitangabe äußern!«
»Na gut.« Lundquist stützte die Fäuste auf den Schreibtisch des Arztes und sah ihm direkt in die Augen. »Dann sag mir, wie lange ich noch arbeiten gehen kann, ob ich erleben werde, wie meine Tochter heiratet, ich meine Enkel im Schoß halten werde«, forderte er aggressiv und funkelte seinen Arzt zornig an.
»Setzt dich wieder.« Dr. Palms Ton erlaubte keinen Widerspruch.
Artig nahm Lundquist wieder Platz.
»Also, wie lange du arbeiten kannst, hängt davon ab, was für einen Verlauf die Krankheit bei dir nehmen wird. Es gibt sehr schnelle und ganz langsame Verläufe. In der Regel verläuft MS in Schüben. Das heißt, die Krankheit wird nicht täglich schlimmer, sondern sie erreicht immer wieder einen stabilen Zustand, der lange anhalten kann. Dann setzt der nächste Schub ein. Der Zustand verschlechtert sich«, erklärte der Arzt
Weitere Kostenlose Bücher