Fern wie Sommerwind
Abendessen kommen magst.«
»Du erzählst ihr von mir?«
»Ununterbrochen.«
»Wow.«
Küssen.
Also fahre ich mit zu Martin. Zu einem Abendessen mit der Familie auf der Terrasse im grünen Garten. Die Vögel zwitschern und wir sitzen etwas angespannt beieinander, nippen an unseren Getränken. Die Mama hat Salat gemacht und einen Auflauf und sogar Zitronenkuchen gebacken.
»Schön ist es hier bei Ihnen«, sage ich und mein Blick streift den Garten, den Martins Mama in mühevoller Kleinstarbeit so gestaltet hat, dass er zwar perfekt aussieht und doch so, als hätte man nicht allzu viel daran gemacht. Ein bisschen wild, mit Kräutergarten und Wiesenblumen und einer Vogeltränke aus Ton.
»Ja. Meine Lebensaufgabe sozusagen.« Martins Mama, die Elke heißt, führt mich durch den Garten, zeigt mir die Petunien, die Gladiolen und die Freesien, Blumennamen, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Sie sind Elkes ganzer Stolz. Am Geräteschuppen bleiben wir stehen und sie zeigt mir winzige Fußabdrücke vom kleinen Martin, die er mit vier Jahren in den frischen Beton treten durfte. Dass Martin mal so klein war, kann ich mir nur schwer vorstellen. Ich sehe zu ihm hinüber, wie er da mit seinem Vater auf der Terrasse sitzt und an einem Radieschen knabbert. Er fängt meinen Blick auf und winkt herüber.
Später sitzen wir bei Martin im Zimmer und ich bin gehemmt, weil seine Eltern so nah sind und jederzeit reinkommen könnten. Ich schaue mich in seinen Regalen voller Bücher und CDs um, fahre mit der Hand über den schweren Holzschreibtisch, der vollgestopft ist mit Malutensilien, Blättern, Bleistiften, Finelinern und Pinseln.
Martin legt eine CD von Radiohead auf. Er greift nach meiner Hand und versucht, mich in sein Bett zu ziehen.
»Deine Eltern sind nett.« Ich setze mich mit einer halben Pobacke auf den Bettrand.
»Stimmt. Aber wir müssen ja jetzt nicht unbedingt von ihnen reden.« Er fängt an, die Knöpfe meiner Bluse aufzuknöpfen.
»Ich fühle mich schuldig irgendwie, ich meine, wenn wir uns hier verstecken und heimlich hinter deren Rücken … Dabei hat deine Mama einen Zitronenkuchen gebacken.«
»Meinst du, die wissen nicht, was wir hier tun?« Martin lacht.
»Oh Mann! Umso schlimmer!« Ich lasse mich trotzdem aufs Bett fallen und streiche Martin die Haare aus dem Gesicht. Dann fahre ich mit den Fingern über seine Augenlider, über die Brauen und Wangen, über Nase und Lippen. Martin streift mir die Bluse von den Schultern.
»Couldn’t look you in the eyes. You’re just like an angel, your skin makes me cry …« , tönt es aus den Lautsprechern, und spätestens jetzt ist mir egal, wo irgendwelche Eltern sind, spätestens jetzt werfe ich alle Bedenken über Bord.
Küssen.
WORAUF ICH IN diesen ganzen Tagen penibel achte, ist, Irmi nicht zu vernachlässigen. Ich will nicht den Fehler machen wie andere, für die, sobald sie einen Freund haben, alles andere zweitrangig wird. Das will ich mir gar nicht erst zur Gewohnheit werden lassen.
Beim Frühstück mit Irmi lasse ich mir viel Zeit. Wir unterhalten uns immer über das Wetter, manchmal über die Arbeit am Strand und hin und wieder erzählt Irmi von der alten Zeit.
Eines Abends sitzen wir im Wohnzimmer und hören eine Platte auf dem antiken Grammophon. Es läuft altmodische Musik mit Trompeten und viel Saxophon.
»Das war damals unsere Tanzmusik. Wir hatten keine Disco. Bei uns war das immer ein Ball. Mit Kronleuchtern und wallenden Kleidern. Es gab Herren- und Damenwahl und immer war eine Anstandsdame dabei.« Irmi wischt mit einem Tuch über die verstaubten Platten, ganz langsam und vorsichtig. Ich mag es gerne, wenn Irmi von der alten Zeit anfängt.
»Anstandsdame? Wofür das?«, frage ich sie.
»Damit man sich nicht unzüchtig benimmt.« Irmi schiebt die Platte behutsam in die Hülle zurück und drückt sie mit einem verträumten Lächeln an ihre Brust.
»Oh.« Unzüchtig – was für ein Wort! Es löst bei mir sofort die Assoziation »Tiere« aus.
»Wir hatten natürlich unsere kleinen Tricks, die Anstandsdamen an der Nase herumzuführen. Die ließen sich ja wirklich leicht ablenken.«
Ich stelle mir vor, wie das damals so war. Viel komplizierter als heute jedenfalls, wenn man unter ständiger Beobachtung war, aber dadurch wahrscheinlich auch schrecklich romantisch. Ich würde gerne mehr erfahren. Aber Irmi wirkt müde, immer früher in letzter Zeit. »Vielleicht solltest du das alles mal aufschreiben Irmi«, schlage ich ihr vor.
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