Fern wie Sommerwind
in der Art sagen wie: » Ach Kind, als ich in deinem Alter war…« , und dann wird sie seufzen und mich ermahnen, nichts zu tun, was ich später bereuen könnte. Mama kann sich selten für einen freuen. Sie vermutet immer und überall etwas Böses. Vielleicht ist das der Grund, warum ich nie locker sein kann. Aber ich kann daran arbeiten. Und Mama macht sich höchstwahrscheinlich bloß Sorgen. So ist das, wenn man Mutter ist. Man traut seinem Kind immer nichts zu, weil man doch so lange damit beschäftigt war, das Kind von vorne bis hinten zu umsorgen, Essen zu machen, bei den Hausaufgaben zu überwachen, den Hintern abzuwischen, schlechten Einfluss zu unterbinden. Arme Mama. Ich werde sie anrufen. Einen Versuch ist es ja wert.
»Das ist das Drachenmädchen!«, ruft ein Junge seinem Vater zu und zeigt mit dem Finger auf mich, will zu uns rennen.
»Ja, ja«, murmelt der Papa, lächelt entschuldigend und zieht das Kind weiter. Eltern!
»Du bist das Drachenmädchen«, lächelt Martin und streicht mir über die nassen Haare.
»Ja. Das bin ich wohl.«
»Mein Drachenmädchen«, wiederholt Martin stolz und streckt dem Jungen, der sich ständig nach uns umdreht, die Zunge raus.
»Fiesling«, empöre ich mich, drehe sein Gesicht zu mir und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen. Wir lassen uns in den Sand fallen und genießen noch einen Moment die Sonne. Gleich müssen wir wieder auf Max’ Veranda stramm stehen.
»Sagen wir es eigentlich den anderen?«, fragt Martin und küsst mich auf die Schulter.
»Die werden das schon merken.«
»James? Rocco? Etwas merken?« Martin lacht.
»Aber Ruth ganz bestimmt.«
»Ihr Mädchen habt da echt so ein Ding am Laufen, das werde ich nie begreifen.« Er hebt den Kopf, sieht mich mit diesem weichen Blick an.
»Nicht so schlimm«, tröste ich ihn und küsse ihn wieder.
Tausend Küsse reichen nicht aus!
Als ich mittags in der schlimmsten Hitze wieder als Drachenmädchen den Strand rauf und runter laufe, kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Ist doch albern! Ich verkaufe die Drachen, als wäre ich ein Roboter, und kurz danach kann ich mich nicht mehr an die Gesichter der Kinder erinnern, denen ich eben eine Freude bereitet habe.
Wie lange dieser Zustand wohl anhalten wird? Gesund kann das nicht sein. Der Umsatz ist mir egal. Das Gemecker von Max erst recht. Ich fühle mich unverwundbar.
Am Nachmittag schaue ich kurz bei Irmi auf ein schnelles Mittagessen vorbei.
Die merkt natürlich alles.
»Hast du keinen Hunger?«, fragt sie besorgt und streicht die Tischdecke glatt.
»Doch, doch«, antworte ich zerstreut und schiebe mir Gemüse auf die Gabel. Bei Irmi gibt es immer Gemüse, für die Gesundheit.
»So wie du in deinem Essen stocherst, könnte man meinen, du wärst verliebt.«
»Ich?« Ich tue mir noch etwas von den Erbsen dazu, obwohl mein Hunger sich wirklich in Grenzen hält.
»Na, ich bestimmt nicht.«
Dafür dass Irmi so alt ist, ist sie ganz schön ausgefuchst. »Wahrscheinlich hast du recht.« Warum sollte Irmi es nicht wissen?
»Ist er ein anständiger Junge?« Irmi bekommt so einen bohrenden Detektivblick.
Darüber habe ich nicht nachgedacht. Anständiger Junge. Diese Kategorie gibt es nicht mehr, die kommt aus anderen Jahrzehnten.
»Er ist großartig«, probiere ich.
»Das kann alles bedeuten.« Irmi runzelt die Stirn.
»Machst du dir Sorgen um mich, Irmi?«
Irmi lächelt, so ein mildes Lächeln, so ein allwissendes.
»Mir geht es wirklich gut. So gut wie seit Ewigkeiten nicht mehr«, versuche ich sie zu beruhigen.
»Ich hatte viele Sommerlieben, weißt du.« Irmis Blick verliert sich. »Wenn man hier an der See wohnt, nun, da kamen ständig Besucher. Meine Mutter hatte eine kleine Pension am anderen Ende des Dorfes. Nichts Besonderes, drei Zimmer, aber sehr beliebt, weil wir das beste Frühstück weit und breit hatten. Ich bin ihr immer zur Hand gegangen. Und abends bin ich mit den jungen Männern am Strand spazieren gewesen. Es gab mal zwei, die haben sich um mich gestritten. Richtig aufeinander losgegangen sind die. Man war beliebt als Tochter von der Pensionwirtin.« Die Falten um ihre Augen schnellen nach oben.
»Wow.« Ich bin beeindruckt. Jungs, die sich um Irmi prügeln, das ist doch mal eine Geschichte!
»Ich hatte einige Male mein Herz an diese jungen Männer verloren. Jedenfalls dachte ich das ein paar Monate lang. Wir schrieben uns Briefe. Erst täglich und dann immer seltener. Wenn man so ein Gesicht nicht mehr vor Augen hat,
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