Fern wie Sommerwind
»Ich werde gerne testlesen, wenn du magst.«
»Ach Liebes, dafür sind meine Augen nicht mehr fit genug.« Sie reibt sich mit den Fingern die Lider und stellt die Platten wieder auf ihren Platz zurück.
»Du könntest diktieren und ich schreibe es auf.« Das könnte ich mir wirklich gut vorstellen. Ein gemeinsames Projekt bei offenem Fenster mit dem Rauschen des Meeres im Hintergrund.
»Wer weiß. Eines Tages vielleicht.« Sie schält sich aus der Decke, streicht mir über die Haare und verabschiedet sich ganz plötzlich. »Zeit fürs Bett.«
Ich schaue ihr nach, wie sie ins Schlafzimmer schlurft, ein wenig gebückt, als hätte sie Schmerzen, und ich beschließe, Irmi morgen wieder zum Strand mitzunehmen. Frische Luft wird ihr bestimmt guttun.
Während der Arbeit schleichen die Minuten natürlich. Immer wieder ziehe ich unauffällig mein Handy aus der Tasche, um nach der Uhrzeit zu schauen, aber auch, ob Martin mir eine SMS geschickt hat.
Ich versuche die Zeit auszutricksen, indem ich mich ablenke. Ich zähle meine Schritte in dem weichen Sand, ich überschlage mein bisher verdientes Geld, ich überlege mir Wörter, die sich auf Martin reimen: Wirtin, Hirtin, Freundin. Juhu!
»He, aufwachen, Prinzessin!«, rempelt Rocco mich von der Seite an.
»Hey!« Ich freue mich, ihn zu sehen.
»Zeit für ’ne Pause würde ich sagen.« Er stellt seine Truhe in den Sand. »Die anderen sind auch gleich da.«
Mein Herz macht einen Hüpfer. Gleich. Was für ein gutes Wort! Ich schaue mich um und sehe Martin und James von Weitem schon kommen. Ich winke voller Freude und die Jungs winken zurück. Rocco wischt sich mit einem Handtuch den Schweiß von seinem Oberkörper. »Ich komme mir vor wie in den Tropen oder so was.«
Die Mittagshitze ist auch besonders schlimm. Man kann nicht mal mehr barfuß über den Strand, nur auf dem kleinen Abschnitt am Meer, wo er vom Wasser gekühlt wird.
»Was ist das hier für ein konspiratives Treffen?« Ruth lässt schnaufend ihre Tasche von der Schulter gleiten.
Rocco und sie schubsen sich ein wenig hin und her, bis beide im Sand landen.
»Na toll!«
»Na super!«
Da ist es wieder mit dem Necken und Lieben. So richtig werde ich nicht schlau aus den beiden, aber sie werden schon wissen, was sie tun.
Wir machen uns auf den Weg zur Mittagspause. Alle zusammen, alle gleichzeitig, das hat Max eigentlich verboten, und wir haben es bisher auch nicht darauf ankommen lassen, aber so kurz vor Schluss kann man es ja ruhig mal riskieren.
Als wir auf den Waldweg kommen, stößt Rocco einen Seufzer aus. »Was für Deppen! Schaut euch das mal an.« Er zeigt auf die Reihe von Kühltruhen, die hinter Büschen versteckt blau hervorschimmern. Die Ware der Bockwurstjungs.
Wir bleiben stehen und sehen uns einige Sekunden an. In Ruths Augen blitzt es gefährlich auf. Rocco zuckt mit den Schultern. »Selbst schuld, oder?«
»Eine bessere Vorlage bekommen wir nicht mehr«, stellt James fest.
Martin runzelt die Strin, aber ich gebe ihm einen Klaps auf den Rücken. »Hey, du hast doch gesagt, sie wären nicht mehr deine Kumpels. Und du warst der Erste, der Rache wollte.«
»Das schon, aber unser Karmakonto?« Er sieht sich hektisch nach allen Seiten um.
»Ach, das füllen wir schnell wieder auf«, sage ich und beiße mir vor Aufregung auf die Lippe.
»Die Zeit wird knapp. Bist du dabei?« Rocco reibt sich die Hände.
»Oh Mann. Natürlich. Ja.«
Ohne ein weiteres Wort schnappt sich jeder von uns eine Kühltruhe. Wir sehen uns noch mal schnell um und rennen dann runter zum erstbesten Fischrestaurant am Ortsrand. Dort schleichen wir uns zum Hintereingang. Da wo die Mülltonnen stehen und in der Sonne vor sich hin stinken. James hatte die super Idee, ganz ohne iPhone, und läuft voran.
Ruth hält Wache. Extrem professionell, wie eine vom Ordnungsamt. Rocco öffnet die Kübel und der Inhalt der ersten Truhe purzelt hinein. Dutzende Würstchen und Senfpäckchen fallen zwischen Fischreste und Plastikbesteck.
»Macht schnell, verdammt!«
James öffnet die restlichen Truhen und reicht sie weiter an Martin, der gibt sie an mich und ich übergebe an Rocco. Eine Kettenreaktion.
Aus der letzten Truhe fischt sich Rocco eine Wurst raus und schiebt sie am Stück in den Mund. »Blöde Ärsche, können von Glück sagen, dass wir so friedfertig sind«, schmatzt er.
»Hasta la vista!«, salutiert James und treibt uns an, endlich zum Ende zu kommen und zurück zum Strand zu laufen. Wir rennen, was das Zeug hält,
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