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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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den schmalen Spalt?
    Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Soll ich weiterreden? Soll ich gehen?
    Meine Blicke wandern durch ihr Zimmer. Hat sie den großen Fernseher mit dem Flachbildschirm von zu Hause mitgebracht? Mutter, die immer gegen das Fernsehen wetterte. Die Möbel sind hell, wie unten bei Frau Grundmann. Ich entdecke nichts Persönliches, nicht einmal ein Foto von Vater.
    Ein ungeduldiger Laut lässt mich zusammenzucken. Das linke Auge ist geöffnet.
    Ich erzähle Mutter von meinem Flug nach Hamburg, von den Nachbarn, die mir nicht weiterhelfen konnten, von meinem Besuch bei Frau Steffen.
    Sie summt. Es scheint ihr zu gefallen, dass ich bei Frau Steffen war.
    Und jetzt bin ich hier, denke ich. Und weiß nicht, wie es weitergeht.
    Mutter nestelt an ihrer Handtasche.
    »Kann ich dir helfen?«
    Sie schüttelt den Kopf und kämpft weiter mit dem Reißverschluss.
    Ich gehe zum Fenster und schaue in den Garten. Der weißbärtige Mann unterhält sich mit dem Gärtner. Sie lachen.
    Hinter mir höre ich ein seltsames Schnaufen. Ich drehe mich um.
    Sie hat es geschafft, holt ein Foto aus ihrer Tasche und deutet mit dem Kopf auf den Boden neben sich.
    »Was ist?«
    Sie streckt ihre linke Hand aus, zeigt auf mich und wieder auf den Boden.
    »Ah, ich soll mich neben dich setzen. Dann wirst du mir das Foto zeigen.«
    Sie nickt.
    Ich sehe mich nach einem Stuhl um, will nicht auf dem Boden sitzen und zu Mutter aufblicken. Neben dem Schrank entdecke ich einen Hocker.
    Ein Knurren ertönt. Es passt ihr nicht, dass ich mir den Hocker hole. Soll sie knurren.
    »So«, sage ich und setze mich.
    Sie drückt das Foto an sich. Will sie einen Kampf mit mir ausfechten?
    »Wenn du es mir nicht zeigen möchtest, ist es auch in Ordnung.«
    Sie ringt mit sich.
    Plötzlich schnellt ihre Hand vor und ich schaue in Vaters Gesicht. Strenge Augen, schmale Lippen, abstehende Ohren. Nur die Haare fehlen.
    »Ich weiß, dass er tot ist«, sage ich leise. »Frau Steffen hat es mir erzählt. Herzinfarkt. Vor etwa fünf Jahren.«
    Mutter nickt und steckt das Foto wieder ein.
    Soll ich sie fragen, ob es hart für sie war? Ob sie ihn vermisst? Ob sie nach seinem Tod den Boden unter den Füßen verloren hat?
    Sie lehnt sich zurück und schließt ihr linkes Auge. Ihre Hand umklammert wieder die Tasche.
    »Bist du müde?«
    Keine Reaktion.
    »Soll ich morgen wiederkommen?«
    Immer noch nichts.
    »Gib mir ein Zeichen, ob du mich überhaupt wiedersehen willst.«
    Sie seufzt.
    »Wie soll ich das verstehen? Regt es dich zu sehr auf? Ist es dir lästig?«
    Sie öffnet ihr Auge, sieht mich prüfend an. Es ist der Blick von früher.
    Ich stehe auf. Sie greift nach meiner Hand. Ein fester Griff. Ich setze mich wieder. Sie lässt mich los. Ihre Hand verschwindet in der Tasche und sucht nach etwas. Nicht noch ein Foto, denke ich.
    Der Speichel tropft auf das Lätzchen.
    Sie zieht ein schwarzes Schlüsseletui hervor. Ihr Hausschlüssel. Er steckte immer in einem solchen Etui. Sie drückt es mir in die Hand, ohne mich anzusehen und zeigt auf die Tür.
    »Bis morgen, Mutter«, sage ich und streiche ihr kurz über die Haare.
    Im Aufzug öffne ich das Etui und betrachte den Schlüssel. Soll ich umkehren und ihr sagen, ich will dein Haus nicht betreten? Ich will keinen Zugang zu meinem Leben von damals?
    Frau Grundmann steht unten im Flur und spricht mit einer Pflegerin.
    Sie bittet mich, ihr ins Büro zu folgen.
    »Wie sind Sie mit Ihrer Mutter zurechtgekommen?«
    Ich berichte ihr von dem Foto, von dem Schlüssel.
    »Das ist ein gutes Zeichen. Sie hat offenbar Vertrauen zu Ihnen und wünscht sich, dass Sie sich um das Haus kümmern.«
    »Ich habe keine Ahnung, was mich dort erwartet …«
    »Die Post haben wir nachschicken lassen. Eine jüngere Kollegin Ihrer Mutter war so nett, das zu veranlassen. Sie besucht sie auch ab und zu. Ihr Name ist Antonia Bremer.« Frau Grundmann zieht einen Aktenordner aus dem Regal und beginnt zu blättern. »Ihre Handynummer lautet 01714121156 . Setzen Sie sich mit ihr in Verbindung. Sie wird Ihnen vielleicht weiterhelfen können.«
    »Danke.«
    »Wie kann ich Sie erreichen?«
    Ich gebe ihr meine Karte.
    »Rom!«, sagt sie und zieht die Augenbrauen hoch.
    Wir schweigen.
    Überlegt Frau Grundmann, ob sie mich fragen soll, warum ich all die Jahre keinen Kontakt zu meiner Mutter hatte? Sie fragt nicht.
    »Ich … fliege in drei Tagen zurück.«
    Frau Grundmann blickt auf meinen Ehering. »Sie haben Familie.«
    »Ja …«
    »Lassen

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