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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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werde das Kind zur Adoption freigeben, antworte ich und stehe auf. Das kostet Sie nichts. Der Vater steht ebenfalls auf. Dann möchte ich dich im Interesse unseres Sohnes um etwas bitten. Seine Stimme klingt plötzlich milder. Man wird dich zur Vaterschaft deines Kindes befragen. Na, und? Es wissen sowieso alle, dass Johannes der Vater ist. Die Behörde weiß es nicht, und es ist auch nicht notwendig, dass sie es erfährt. Beim Ausfüllen der Formulare trägst du
Vater unbekannt
ein. Aber er ist nicht unbekannt, entgegne ich. Leg ihm doch nicht noch mehr Steine in den Weg, stöhnt die Mutter. Verstehst du denn nicht? Wir wollen vermeiden, dass in achtzehn oder zwanzig Jahren jemand hier aufkreuzt und nach Johannes sucht. Ich gehe zur Tür. Oder du lässt es doch abtreiben, ruft die Mutter mir nach. Dann kannst du neu anfangen.
     
    Auf dem Weg zum Auto überfällt mich der Hunger. An einer Imbissbude esse ich eine Bratwurst mit Pommes frites. Das gab es früher manchmal bei Claudia.
    Ich fahre ins Uni-Viertel, trinke einen Eiskaffee, lese
Die Süddeutsche,
mein telefonino habe ich ausgestellt. In einem Programmkino läuft
Wilde Erdbeeren
von Ingmar Bergman. Der erste Film, den ich mit Francesco gesehen habe. Ihm hat er gefallen, mir nicht. Ein alter Mann, der auf sein Leben zurückblickt. Vielleicht war ich zu jung.
    Ich kaufe eine Karte, das kleine Kino ist fast leer. Es riecht nach Popcorn.
    Gebannt schaue ich auf die schwarzweißen Bilder. Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen. Der alte Mann kann seinen schmerzhaften Erinnerungen nicht entkommen.
    Kein Wunder, dass der Film mir damals nicht gefallen hat.

[home]
    26.
    I ch sitze im Kino-Bistro und trinke ein Glas Weißwein.
    Auf meiner Mailbox sind zwei Nachrichten von Francesco: »Wahrscheinlich bist du noch bei deiner Mutter. Ich treffe mich gleich mit Daniele, bin sicher spätestens um elf zu Hause.« Drei Stunden später klingt seine Stimme ungeduldig. »Ich bin wieder da. Warum schaltest du dein telefonino nicht ein?«
    Ich rufe ihn an, erzähle ihm von meinem Tag, von dem Film.
    »Wilde Erdbeeren?«,
fragt er erstaunt. »Den mochtest du doch nicht.«
    »Diesmal fand ich ihn gut.«
    »Aha …«
    »Die Erinnerungen des alten Mannes haben was ganz Unmittelbares, Rohes …«
    »Wie meinst du das?«
    »Es gibt keine Schutzschicht zwischen damals und heute.«
    »Ging es nicht vor allem um seine Auseinandersetzung mit dem Tod?«
    »Ja … und um das, was er in seinem Leben falsch gemacht hat.«
    »Es wäre ein Film für deine Mutter.«
    »Ich glaube nicht …«
    Wir schweigen.
    »Wieso ist es bei dir im Hintergrund so laut?«
    »Ich bin in einer Kneipe …«
    »Ah …«
    »Nach dem Film konnte ich nicht sofort zum Hotel zurück.« Wieso sage ich das?
    »Daniele lässt dich grüßen.«
    »Danke.«
    »Der Bruch mit Vater scheint ihm kaum etwas auszumachen. Er wirkte fast erleichtert.«
    »Wieso?«
    »Die Beziehung zwischen den beiden ist offenbar seit längerem gestört. Ich habe davon nichts mitbekommen. Daniele leidet unter dem Druck, den Vater auf ihn ausübt.«
    »Gestern hast du mir noch gesagt, dass dein Vater in ihm etwas Besonderes sieht.«
    »Das schließt sich nicht aus, im Gegenteil. Es gefällt Vater anscheinend nicht, dass Daniele in den letzten Jahren Unterhaltungsfilme fürs Fernsehen gemacht hat. Damit verdient er gut, aber für Vater zählt nur was Künstlerisches, Filme von Fellini oder so was wie
Wilde Erdbeeren.
«
    »Deine Arbeit zählt für ihn auch.«
    »Die interessiert ihn nicht. Was du machst, findet er viel spannender.«
    Fast hätte ich ihn gefragt, wie er das meint. Ich habe heute kein einziges Mal an meinen Engel gedacht.
    »Hast du eigentlich bei dieser Claudia angerufen?«, fragt er nach einer Weile.
    »Nein, wieso?«
    »Hätte ja sein können. Ohne sie wärst du jetzt nicht in Hamburg.«
    »Ich könnte es versuchen …«
    »Schade, dass du nicht schon morgen zurückkommst.«
    »Schlaf gut.«
     
    Mutter fährt mit dem linken Zeigefinger unter ihren Augen entlang. Dabei sieht sie mich bedeutungsvoll an.
    »Ich weiß, ich hätte die Ringe wegschminken können.«
    Ihr Brummen wird mich nicht dazu bringen, über meine schlaflosen Nächte zu reden.
    »Was hältst du davon, wenn ich dir etwas vorlese? Im Feuilleton der
Süddeutschen …
«
    Sie knurrt.
    »Lass mich wenigstens ausreden.«
    Energisches Kopfschütteln.
    »Ich dachte, es würde dich ablenken.«
    Sie zieht ihre linke Augenbraue hoch und gibt einen Schnalzlaut von

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