Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
vielen Jahren kennt. Habe ich mich in dieser Zeit sehr verändert?«
    Erneut musterte er mich vom Scheitel bis zur Sohle.
    »Nein«, antwortete er. »Du hast nicht mal zugenommen.«
    »Stimmt.« Ich sah auf meine Hände, die zusammengekrampft in meinem Schoß lagen. Schmale Handgelenke; nein, dick war ich nicht. Im Licht der Herbstsonne, das durch das Fenster fiel, funkelten meine beiden Hochzeitsringe.
    »Briannas Vater?« fragte Joe leise.
    Überrascht blickte ich auf. »Woher weißt du das?«
    Er schmunzelte. »Wie lange kenne ich Brianna schon? Seit zehn Jahren mindestens.« Er schüttelte den Kopf. »Sie hat viel von dir, Claire. Aber von Frank hat sie nicht das geringste. Ihr Vater hat rote Haare und ist ein langes Elend, oder alles, was ich in Genetik gelernt habe, war gelogen.«

    »Ja.« Dieses schlichte Eingeständnis bereitete mir ein ungeheures Vergnügen. Bevor ich Brianna und Roger eingeweiht hatte, hatte ich zwanzig Jahre lang nicht von Jamie sprechen dürfen. Plötzlich über ihn reden zu können war unheimlich aufregend.
    »Ja, er ist groß und rothaarig. Und Schotte.« Wieder rundeten sich Joes Augen vor Staunen.
    »Und Brianna ist in Schottland geblieben?«
    Ich nickte. »Ja. Um Brianna geht es auch bei dem Gefallen, um den ich dich bitten möchte.«
    Zwei Stunden später fuhr ich vom Parkplatz des Krankenhauses. Es war ein Abschied für immer. Zurück ließ ich mein Kündigungsschreiben, adressiert an die Krankenhausverwaltung, alle notwendigen Unterlagen zur Verwaltung meines Eigentums bis zu Briannas Volljährigkeit und Urkunden, in denen ich meinen Besitz an Brianna übertrug. Als ich den Wagen startete, verspürte ich eine Mischung aus Panik, Bedauern und Freude. Den ersten Schritt hatte ich getan.

21
    Q.E.D.
    Inverness 5. Oktober 1968
    »Ich habe die Übertragungsurkunde gefunden.« Roger war rot vor Begeisterung. Bei meiner Ankunft auf dem Bahnhof von Inverness konnte er es kaum abwarten, daß Brianna mich umarmte und meine Koffer aus dem Zug geladen wurden. Sobald wir in seinem winzigen Morris saßen, platzte er auch schon mit seiner Neuigkeit heraus.
    »Welche? Die für Lallybroch?« Ich beugte mich nach vorn, um seine Worte über dem Motorenlärm besser hören zu können.
    »Ja, das Dokument, das Jamie - Ihr Jamie - verfaßt hat und in dem er seinen Besitz an seinen Neffen, den jungen Jamie, übertrug.«
    »Die Urkunde ist im Pfarrhaus«, warf Brianna ein. »Wir haben uns nicht getraut, sie mitzubringen. Roger hat wahre Blutseide leisten müssen, bevor das Archiv sie herausrückte.« Ihre blasse Haut war mit einem rosigen Schimmer überzogen, und in ihrem rostroten Haar glitzerten Regentropfen. Nach der langen Trennung durchfuhr es mich wie ein Schock - jede Mutter hält ihr Kind für schön, aber Brianna war es wirklich.
    Zärtlich lächelte ich sie an. Aber dann packte mich die Angst. Konnte ich ernsthaft mit dem Gedanken spielen, sie zu verlassen? Sie deutete mein Lächeln als Freude über die Neuigkeit und plapperte aufgeregt weiter.
    »Und du errätst nie, was wir sonst noch gefunden haben!«
    »Was du gefunden hast«, verbesserte sie Roger und drückte ihr das Knie, während er den kleinen orangefarbenen Wagen in einen Kreisverkehr steuerte. Sie warf ihm einen Blick zu und erwiderte seine Berührung mit einer Vertrautheit, die auf der Stelle mütterliche
Alarmglocken in mir zum Klingen brachten. War es schon so weit gekommen?
    Ich hatte das Gefühl, als blickte mir Franks Schatten anklagend über die Schulter. »Ja? Was denn?« krächzte ich.
    Sie sahen sich an und grinsten verschmitzt.
    »Abwarten, Mama«, sagte Brianna mit empörender Selbstgefälligkeit.
     
    »Siehst du?« fragte sie zwanzig Minuten später, als ich mich im Studierzimmer des Pfarrhauses über den Schreibtisch beugte. Vor mir lag ein Stapel vergilbter Papiere mit ausgefransten Rändern. Mittlerweile steckten sie zum Schutz in Plastikhüllen, doch in der Vergangenheit war man offensichtlich nicht gerade sanft mit ihnen umgegangen. Eines der Blätter war sogar bis zur Hälfte eingerissen, und auf allen befanden sich am Rand und im Text handschriftliche Notizen und Anmerkungen. Anscheinend handelte es sich um einen Entwurf - aber wofür?
    »Das ist ein Artikel«, erklärte mir Roger, während er ein paar dicke Bände durchsah, die auf dem Sofa lagen. »Veröffentlicht in einer Zeitschrift namens Forrester’s , die 1765 in Edinburgh von einem Drucker namens Alexander Malcolm herausgegeben wurde.«
    Ich schluckte.

Weitere Kostenlose Bücher