Ferne Ufer
Frauen.«
» Welcher Frauen?« fragte ich.
»Bisher waren es nur Huren«, meinte er, während er durch den Torbogen nach unseren Verfolgern Ausschau hielt, »aber man weiß nie, was er als nächstes versucht. Da sage ich nichts dazu«, erklärte er knapp. »Er ist ein Heide.«
»Verstehe«, sagte ich, obwohl ich bis jetzt gar nichts verstand. »Was…«
»Da sind sie!« Ein Ruf vom andern Ende der Gasse schnitt mir das Wort ab.
»Verdammt, ich dachte, sie hätten aufgegeben. Komm, hier entlang!«
Und weiter ging die Jagd, eine Gasse hinunter, zurück auf die Royal Mile, ein paar Schritte bergab und dann wieder in eine Sackgasse. Ich hörte Rufe und Schreie hinter uns auf der Hauptstraße, aber Jamie packte mich am Arm und zog mich in einen Hinterhof voller Fässer, Bündel und Lattenkisten. Verzweifelt sah er sich um, hievte schließlich den schlaffen Mr. Willoughby in eine große Tonne voller Unrat und deckte ihn rasch mit einem Stück Leinwand
zu. Dann zog er mich neben sich hinter einen mit Kisten beladenen Wagen.
»Machst du so was öfter?« Ich drückte die Hand auf die Brust in dem vergeblichen Bemühen, mein pochendes Herz zu beruhigen.
»Eigentlich nicht«, sagte er, während er vorsichtig über den Wagen hinweg nach den Verfolgern Ausschau hielt.
Das Echo stampfender Schritte kam näher und entfernte sich wieder, dann war alles ruhig, abgesehen vom Trommeln des Regens auf den Kisten über uns.
»Sie sind vorbeigelaufen. Am besten bleiben wir aber noch ein bißchen hier, um sicherzugehen.« Er holte eine Kiste zum Sitzen für mich herunter, dann angelte er auch für sich eine, setzte sich seufzend und strich sich die Haare aus der Stirn.
Mit schiefem Lächeln meinte er: »Tut mir leid, Sassenach. Ich dachte nicht, daß es gleich so…«
»Ereignisreich wird?« ergänzte ich den Satz für ihn. Ich erwiderte sein Lächeln und zog ein Taschentuch hervor, um mir einen Tropfen von der Nase zu wischen. »Ist schon gut.« Ich warf einen Blick auf die Tonne, in der sich etwas regte. Vermutlich erwachte Mr. Willoughby allmählich aus seiner Bewußtlosigkeit. »Hm… woher weißt du das mit den Füßen?«
»Er hat es mir erzählt. Er trinkt ganz gern, weißt du«, erklärte Jamie und warf einen Blick auf die Tonne, in der sich sein Kollege verbarg. »Und wenn er einen über den Durst getrunken hat, fängt er an, über Frauenfüße zu reden und all die schrecklichen Dinge, die er damit anstellen will.«
»Was kann man denn mit einem Fuß Schreckliches anstellen?« Ich fand das faszinierend. »Gewiß sind die Möglichkeiten begrenzt.«
»Nein, überhaupt nicht«, erwiderte Jamie erbittert. »Aber darüber möchte ich mich auf offener Straße nicht auslassen.«
Ein leiser Singsang drang aus den Tiefen der Tonne hinter uns. Angesichts der naturgegebenen Modulation der Sprache war es schwer zu beurteilen, aber ich meinte, daß Mr. Willoughby eine Frage stellte.
»Halt den Mund, du Wurm«, sagte Jamie grob. »Noch ein Wort, und ich laufe dir selbst über dein verdammtes Gesicht, mal
sehen, wie dir das gefällt.« Der Chinese gab ein hohes Kichern von sich, dann herrschte Totenstille.
»Er möchte, daß jemand über sein Gesicht geht?»fragte ich.
»Aye, und zwar du.« Jamie zuckte die Achseln, als wollte er sich entschuldigen, und errötete tief. »Ich hatte noch keine Zeit, ihm zu sagen, wer du bist.«
»Spricht er Englisch?«
»Ja, sozusagen, aber die meisten Leute verstehen ihn nicht. Ich rede meistens Chinesisch mit ihm.«
Ich starrte ihn an. »Du sprichst Chinesisch?«
Wieder zuckte er die Achseln und lächelte. »Ich spreche ungefähr so gut Chinesisch wie Mr. Willoughby Englisch, aber er hat keine besonders große Auswahl an Gesprächspartnern, also gibt er sich mit mir zufrieden.«
Mein Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder, ich lehnte mich an den Wagen und zog die Kapuze tiefer ins Gesicht, um mich vor dem Regen zu schützen.
»Wie in aller Welt ist er zu dem Namen Willoughby gekommen?« fragte ich. Der Chinese hatte meine Neugier geweckt, aber noch mehr interessierte mich die Frage, was ein angesehener Edinburgher Drucker mit ihm zu schaffen hate.
Jamie rieb sich die Nase. »Aye. Es ist nur, daß er in Wirklichkeit Yi Tien Tschu heißt. Er sagt, das bedeutet ›lehnt am Himmel‹.«
»Das ist wohl für die Einheimischen ziemlich schwer auszusprechen?« Da ich wußte, wie engstirnig die meisten Schotten waren, überraschte es mich nicht, daß sie sich scheuten, sprachliches Neuland
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