Ferne Ufer
vorstellen?«
Mein Herz setzte kurz aus, dann fing es so an zu hämmern, daß es gewiß alle in der kleinen Eingangshalle hören konnten. Lächelnd sah mir Jamie in die Augen, während sich seine Finger fester um meinen Arm schlossen.
»Ihre… Gattin?« Es war schwer zu sagen, ob das Erstaunen oder das Entsetzen größer war, die sich auf Madame Jeannes Gesicht malten. »Aber Monsieur Fraser… Sie bringen sie hierher ? Ich dachte… eine Frau… nun ja, aber unsere eigenen jeunes filles zu beleidigen ist nicht gut… aber… eine Ehefrau …« Mit offenem Mund sah sie nicht mehr ganz so gut aus, zumal einige verfaulte
Backenzähne zutage traten. Erstaunlich rasch fand sie zu ihrer Haltung zurück und nickte mir, um Freundlichkeit bemüht, zu. » Bonsoir … Madame.«
»Dasselbe wünsche ich Ihnen«, erwiderte ich höflich.
»Ist mein Zimmer bereit, Madame?« fragte Jamie. Ohne die Antwort abzuwarten, wandte er sich zur Treppe und nahm mich mit sich. »Wir bleiben über Nacht.«
Er sah sich noch nach Mr. Willoughby um, der mit uns hereingekommen war. Dieser hatte sich sofort auf dem Boden niedergelassen, wo er nun tropfnaß und mit verträumter Miene kauerte.
Jamie sah Madame Jeanne fragend an. Sie musterte den kleinen Chinesen, als fragte sie sich, woher der so plötzlich aufgetaucht war, dann klatschte sie in die Hände, um das Mädchen herbeizurufen.
»Sieh nach, ob Mademoiselle Josie frei ist, bitte, Pauline«, sagte sie. »Und dann bring heißes Wasser und frische Handtücher hinauf, für Monsieur Fraser und seine… Gemahlin.« Sie sprach das Wort so fassungslos aus, als könnte sie es immer noch nicht glauben.
»Ach, und noch etwas, wenn Sie so freundlich wären, Madame?« Jamie lehnte sich über das Treppengeländer und lächelte sie an. »Meine Gemahlin braucht ein anderes Kleid. Sie hatte einen unglückseligen Unfall. Ob Sie bis morgen früh etwas Passendes besorgen könnten? Vielen Dank, Madame Jeanne. Bonsoir !«
Wortlos folgte ich ihm die Wendeltreppe hinauf bis in den vierten Stock. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. »Zuhälter« hatte ihn der Kerl im Gasthaus genannt. Aber das war gewiß nur als Schimpfwort gemeint - so etwas war absolut unvorstellbar. Das heißt, bei dem Jamie Fraser, den ich gekannt hatte, war es unvorstellbar gewesen, korrigierte ich mich und blickte zu den breiten Schultern unter dem grauen Rock auf. Aber bei diesem Mann?
Ich wußte nicht recht, was ich erwartet hatte, aber es war ein ganz gewöhnliches Zimmer, klein und sauber - eigentlich war gerade das ungewöhnlich -, möbliert mit einem Hocker, einem einfachen Bett und einer Kommode, auf der eine Waschschüssel mit Krug und eine Kerze standen. Jamie zündete sie mit dem dünnen Wachslicht an, das er mit heraufgebracht hatte.
Er warf seinen durchweichten Rock ab und legte ihn achtlos über den Hocker, dann setzte er sich aufs Bett, um seine nassen Schuhe auszuziehen.
»Mein Gott«, sagte er, »ich bin am Verhungern. Hoffentlich ist die Köchin noch nicht ins Bett gegangen.«
»Jamie…«, sagte ich.
»Leg deinen Umhang ab, Sassenach.« Er bemerkte, daß ich immer noch an der Tür stand. »Du bist tropfnaß.«
»Ja, ja… Jamie, warum hast du ein festes Zimmer in einem Bordell?« platzte ich heraus.
Verlegen rieb er sich das Kinn. »Tut mir leid, Sassenach. Ich weiß, daß es nicht richtig war, dich herzubringen. Aber es war der einzige Ort, der mir eingefallen ist, wo wir dein Kleid schnell richten lassen können und ein warmes Abendessen bekommen. Und dann mußte ich Mr. Willoughby in ein Haus bringen, wo er sich nicht noch mehr Ärger einhandelt, und da wir sowieso hierherkommen mußten… Es ist hier viel bequemer als auf meiner Pritsche in der Druckerei. Aber vielleicht war es keine gute Idee. Wir können gehen, wenn du meinst, daß es nicht…«
»Das macht mir nichts aus«, fiel ich ihm ins Wort. »Die Frage ist - warum hast du ein Zimmer in einem Bordell? Bist du ein so guter Kunde, daß…«
»Ein Kunde?« Er starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Hier? Mein Gott, Sassenach, was glaubst du eigentlich, wer ich bin?«
»Das wüßte ich verdammt gern«, entgegnete ich. »Darum frage ich ja. Beantwortest du jetzt meine Frage?«
Eine Weile starrte er seine bestrumpften Füße an und wackelte mit den Zehen. Schließlich blickte er auf und sagte ruhig: »Ich denke schon. Nicht ich bin Jeannes Kunde - sie ist meine Kundin, und zwar eine gute. Sie hält ein Zimmer für mich bereit,
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