Ferne Ufer
weil ich oft spätabends geschäftlich unterwegs bin, und ich schätze es, wenn ich hier jederzeit essen kann und ein Bett bekomme und ganz ungestört bin. Das Zimmer ist ein Teil meiner Abmachung mit ihr.«
Ich hatte den Atem angehalten. Jetzt entspannte ich mich halbwegs. »Gut«, sagte ich. »Dann ist wohl die nächste Frage, wie die Besitzerin eines Bordells mit einem Drucker ins Geschäft kommt?«
Den absurden Gedanken, daß er vielleicht Werbezettel für Madame Jeanne druckte, hatte ich gleich wieder verworfen.
»Nein, ich finde nicht, daß das die Frage ist«, erwiderte er bedächtig.
»Nein?«
»Nein.« Rasch erhob er sich und baute sich vor mir auf. Am liebsten wäre ich einen Schritt zurückgewichen, aber das war aus Platzmangel nicht möglich.
»Die Frage ist, Sassenach, warum bist du zurückgekommen?« sagte er leise.
»Na, das ist ja eine großartige Frage! Was glaubst du denn, warum ich gekommen bin, verdammt?«
»Ich weiß nicht.« Seine Stimme war leise und kühl, aber selbst in dem schummrigen Licht sah ich, wie unter seinem offenen Hemdkragen die Schlagader pulsierte.
»Bist du zu mir zurückgekommen? Oder wolltest du mir nur Nachricht von meiner Tochter bringen?« Als spürte er, daß seine Nähe mich verwirrte, wandte er sich plötzlich ab und trat ans Fenster.
»Du bist die Mutter meines Kindes - schon allein dafür schulde ich dir meine Seele - für das Wissen, daß mein Leben nicht vergebens war - daß mein Kind in Sicherheit ist.« Er drehte sich wieder zu mir um und sah mich aufmerksam an.
»Aber es ist schon eine Zeit her, Sassenach, seit du und ich eins waren. Du hast dein Leben geführt - und ich meins. Du hast keine Ahnung, was ich getan habe. Bist du gekommen, weil du wolltest - oder weil du geglaubt hast, du mußt?«
Mein Hals war wie zugeschnürt, aber ich sah ihm in die Augen.
»Ich bin jetzt gekommen, weil ich vorher… ich dachte, du wärst tot. Ich dachte, du wärst bei Culloden gestorben.«
Er senkte die Augen und zupfte an einem Holzspan auf dem Fensterbrett.
»Aye, ich verstehe«, sagte er leise. »Dort… wollte ich auch sterben.« Er lächelte freudlos. »Ich hab’ es ernsthaft versucht.« Er sah mich wieder an.
»Wie hast du herausgefunden, daß ich nicht tot bin? Und wo ich lebe?«
»Ich hatte Hilfe. Ein junger Historiker namens Roger Wakefield
hat die Dokumente gefunden. Er hat dich in Edinburgh aufgespürt. Und als ich ›A. Malcolm‹ sah, wußte ich… ich dachte, das könntest du sein«, schloß ich lahm. Einzelheiten konnte ich auch später noch erzählen.
»Aye, ich verstehe. Und dann bist du gekommen. Aber dennoch… warum?«
Ich starrte ihn wortlos an. Als verspüre er ein Bedürfnis nach frischer Luft, oder vielleicht auch nur, um etwas zu tun, machte er sich am Riegel der Fensterläden zu schaffen und stieß sie halb auf, so daß das Dröhnen des strömenden Wassers und der kühle, frische Regengeruch hereindrangen.
»Willst du mir damit sagen, du möchtest nicht, daß ich bleibe?« sagte ich schließlich. »Wenn es so ist… ich meine, ich weiß, daß dein Leben jetzt… vielleicht hast du… andere Bindungen…« Meine Hände waren feucht, und ich wischte sie mir verstohlen am Kleid ab.
Er drehte sich um und sah mich an.
»O Gott!« sagte er. »Dich nicht wollen?« Sein Gesicht war jetzt blaß, und seine Augen leuchteten unnatürlich.
»Ich habe mich zwanzig Jahre lang nach dir verzehrt, Sassenach«, sagte er leise. »Weißt du das nicht? Jesus!« Die Brise spielte mit seinen losen Haarsträhnen, und er strich sie sich ungeduldig aus dem Gesicht.
»Aber ich bin nicht mehr derselbe Mann, oder? Wir kennen uns heute weniger als am Tag unserer Hochzeit.«
»Willst du, daß ich gehe?« Das Blut pochte in meinen Ohren.
»Nein!« Er wirbelte herum und packte mich so fest an den Schultern, daß ich unwillkürlich zurückwich. »Nein«, wiederholte er gefaßter. »Ich will nicht, daß du gehst. Das habe ich dir schon gesagt und es auch gemeint. Aber… eins muß ich wissen.« Er beugte sich über mich, eine bange Frage stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Willst du mich?« flüsterte er. »Sassenach, willst du mich haben und es mit dem Mann wagen, der ich bin, um des Mannes willen, den du gekannt hast?«
Eine Welle der Erleichterung, gemischt mit Furcht, durchströmte mich.
»Für diese Frage ist es zu spät.« Ich berührte seine Wange und
strich über die Bartstoppeln, die sich allmählich zeigten. Sie fühlten sich weich an wie steifer
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