Ferne Ufer
zu betreten. Der sprachbegabte Jamie schlug eindeutig aus der Art.
Er lächelte. Seine weißen Zähne blitzten im Halbdunkel. »Nein, das ist es eigentlich weniger. Es ist nur, wenn man seinen Namen ein kleines bißchen falsch ausspricht, klingt er wie ein ziemlich grobes gälisches Wort. Da dachte ich, Willoughby macht sich vielleicht besser.«
»Verstehe.« Unter den Umständen hielt ich es für besser, nicht zu fragen, was das unfeine gälische Wort bedeutete. Ich schaute über die Schulter - die Luft war rein.
Jamie stand auf und nickte. »Aye, wir können jetzt gehen. Die Kerle sitzen wohl inzwischen wieder in der Taverne.«
»Müssen wir auf dem Rückweg zur Druckerei nicht wieder am World’s End vorbei?« fragte ich unschlüssig. »Oder gibt es einen anderen Weg?« Inzwischen war es ganz dunkel geworden, und der Gedanke, durch die Abfallhaufen und schlammigen Hinterhöfe Edinburghs zu stolpern, schien mir nicht gerade verlockend.
»Äh… nein. Wir gehen nicht zur Druckerei.« Ich sah sein Gesicht nicht, aber sein Betragen kam mir etwas reserviert vor. Womöglich hatte er irgendwo in der Stadt noch eine Wohnung? Mir wurde flau. Das Zimmer über der Druckerei war eindeutig eine Mönchszelle, aber vielleicht besaß er ja noch ein ganzes Haus - mit einer Familie darin? In der Druckerei hatten wir nur das Nötigste besprochen. Woher sollte ich wissen, was genau er in den letzten zwanzig Jahren getrieben hatte?
Dennoch, offensichtlich hatte er sich - milde ausgedrückt - gefreut, mich zu sehen, und die nachdenkliche Miene, die er nun aufsetzte, hatte vielleicht mehr mit seinem betrunkenen Gefährten zu tun als mit mir.
Er beugte sich über die Tonne und sagte etwas Chinesisches mit schottischem Akzent. Das waren mit die merkwürdigsten Laute, die ich je vernommen hatte - wie das Quietschen eines Dudelsacks, der gerade gestimmt wird.
Was immer er gesagt haben mochte, Mr. Willoughby gab ihm kichernd und glucksend eine wortreiche Antwort. Schließlich kletterte der kleine Chinese aus der Tonne. Mit großer Gewandtheit sprang er auf den Boden und warf sich vor mir nieder.
Eingedenk dessen, was Jamie über die Füße gesagt hatte, trat ich rasch einen Schritt zurück, aber Jamie legte mir beruhigend die Hand auf den Arm.
»Nein, ist schon gut, Sassenach. Er entschuldigt sich nur für seine Respektlosigkeit von vorhin.«
»Ach so. Gut.« Ich sah Mr. Willoughby unschlüssig an, der mit zum Boden geneigtem Gesicht vor sich hin brabbelte. Da ich nicht wußte, was sich in diesem Fall gehörte, beugte ich mich einfach über ihn und tätschelte seinen Kopf. Offensichtlich reichte das, denn er sprang auf und verbeugte sich mehrmals, bis ihm Jamie ungeduldig Einhalt gebot und wir den Weg zurück zur Royal Mile einschlugen.
Das Haus, zu dem uns Jamie führte, lag versteckt in einer kleinen
Sackgasse direkt oberhalb der Kirche am Canongate und vielleicht eine Viertelmeile über Holyrood Palace. Als ich die Laternen an den Palasttoren sah, fröstelte ich. In dem Palast hatten wir fast fünf Wochen mit Charles Stuart gelebt - in der siegreichen Anfangsphase seiner kurzen Karriere. Jamies Onkel, Colum MacKenzie, war dort gestorben.
Auf Jamies Klopfen öffnete sich die Tür, und die Gedanken an die Vergangenheit entschwanden. Die Frau, die in der Tür stand und uns neugierig musterte, war zierlich, dunkelhaarig und elegant. Als sie Jamie erkannte, zog sie ihn mit einem freudigen Aufschrei an sich und küßte ihm zur Begrüßung die Wange. Mein Magen krampfte sich zusammen, entspannte sich aber wieder, als ich hörte, daß er sie mit »Madame Jeanne« anredete. So nannte gewiß niemand seine Ehefrau - oder seine Geliebte.
Dennoch beunruhigte mich die Frau. Offenbar war sie Französin, obwohl sie gut englisch sprach. Das war nichts Außergewöhnliches. Edinburgh war ein Seehafen und eine ziemlich kosmopolitische Stadt. Das Kleid der Frau war unauffällig, aber kostbar, aus schwerer Seide und gut geschnitten. Sie trug jedoch erheblich mehr Rouge und Puder als üblich. Und sie betrachtete mich stirnrunzelnd und voller Abneigung.
»Monsieur Fraser«, sagte sie und berührte Jamie besitzergreifend an der Schulter, was mir gar nicht gefiel, »dürfte ich vielleicht ein Wort unter vier Augen mit Ihnen reden?«
Jamie warf mir einen Blick zu und erfaßte die Situation sofort.
»Natürlich, Madame Jeanne«, erwiderte er höflich und streckte die Hand nach mir aus. »Aber darf ich Ihnen zuerst meine Gattin, Madame Fraser,
Weitere Kostenlose Bücher