Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Jamie holte tief Luft.
    »Aye, vielleicht. Aber daran dürfen wir nicht denken.« Er sah mir forschend in die Augen. »Ich kann nicht zurückblicken, Sassenach, und weiterleben«, sagte er schlicht. »Und wenn wir nicht mehr haben als letzte Nacht und diesen Augenblick, so reicht mir das.«
    »Mir aber nicht, überhaupt nicht!« rief ich, und er lachte.
    »Du gieriges Weib, du kriegst wohl nie genug?«
    »Nein.« Die Spannung löste sich, und ich widmete mich wieder der Narbe auf seinem Bein, um mich von den schmerzlichen Gedanken an verlorene Zeit und vertane Möglichkeiten abzulenken.
    »Du wolltest mir gerade erzählen, wie du das abbekommen hast.«
    »Richtig.« Er lehnte sich zurück und betrachtete die lange weiße Linie auf seinem Bein.
    »Es war Jenny, meine Schwester, weißt du?« An Jenny erinnerte ich mich wahrhaftig; im Gegensatz zu ihrem Bruder war sie zierlich und dunkelhaarig, aber an Halsstarrigkeit konnte sie es leicht mit ihm aufnehmen.
    »Sie sagte, sie würde mich nicht sterben lassen.« Er lächelte kläglich. »Meine Meinung dazu hat sie nicht interessiert.«
    »Das sieht ihr ähnlich.« Bei dem Gedanken an meine Schwägerin
fühlte ich mich getröstet. Jamie war also nicht allein gewesen, wie ich befürchtet hatte - Jenny hätte es mit dem Teufel persönlich aufgenommen, um ihren Bruder zu retten.
    »Sie hat mir Arznei gegen das Fieber gegeben und Breiumschläge auf mein Bein gelegt, um das Gift herauszuziehen, aber es hat alles nichts geholfen, sondern ist nur schlimmer geworden. Das Bein ist angeschwollen und hat gestunken, und dann wurde es schwarz und brandig, so daß sie glaubten, man müßte es abnehmen, wenn ich am Leben bleiben sollte.«
    Er berichtete das ganz sachlich, aber mir wurde schwindelig bei dem Gedanken.
    »Und wieso wurde es dann doch nicht abgenommen?«
    Jamie rieb sich die Nase und strich sich die Haare aus der Stirn. »Das habe ich Ian zu verdanken. Er hat es nicht zugelassen. Er sagte, er wüßte nur zu gut, was es heißt, mit einem Bein zu leben, ihm mache es zwar nicht soviel aus, aber er könnte sich vorstellen, daß es mir nicht behagen würde… alles in allem genommen«, fügte er mit einer ausladenden Handbewegung und einem Blick, der alles sagte, hinzu - Niederlage in der Schlacht und im Krieg, der Verlust seiner Frau, seiner Heimat und seines Besitzes - alles, was sein Leben ausmachte, war verloren. In Gedanken gab ich Ian recht.
    »Also holte Jenny drei Pächter, die sich auf mich setzen und mich festhalten mußten. Dann schlitzte sie mein Bein mit dem Küchenmesser bis zum Knochen auf und wusch die Wunde mit kochendem Wasser aus«, berichtete er beiläufig.
    »Jesus H. Roosevelt Christ!« platzte ich völlig entsetzt heraus.
    Mein Gesichtsausdruck entlockte ihm ein Lächeln. »Aye, es hat gewirkt.«
    Ich schluckte den bitteren Geschmack in meinem Mund hinunter. »Himmel! Ich hätte gedacht, daß dich das zum Krüppel gemacht hätte!«
    »Na, sie reinigte die Wunde, so gut es ging, und nähte sie zu. Sie sagte, sie würde mich nicht sterben lassen, und ein Krüppel sollte ich auch nicht werden. Außerdem dürfte ich nicht den ganzen Tag herumliegen und mich selbst bemitleiden, und…« Resigniert zuckte er die Achseln. »Als sie alles aufgezählt hatte, was sie mir nicht erlauben wollte, blieb nichts anderes übrig, als wieder gesund zu werden.«

    Ich stimmte in sein Lachen ein. »Sobald ich aufstehen konnte, mußte Ian nach Einbruch der Dunkelheit mit mir hinaus und gehen üben. Bei Gott, das muß ein Anblick gewesen sein, Ian mit seinem Holzbein und ich mit meinem Stock, wie wir die Straße hinauf- und hinunterhumpelten wie zwei lahme Kraniche!«
    Wieder lachte ich, kämpfte aber gleichzeitig gegen die Tränen; ich sah sie nur zu gut vor mir, die beiden hochgewachsenen humpelnden Gestalten, die störrisch gegen die Dunkelheit und den Schmerz ankämpften und sich gegenseitig stützten.
    »Du hast eine Zeitlang in einer Höhle gelebt, nicht wahr? Wir sind auf die Geschichte gestoßen.«
    Überrascht zog er die Brauen hoch. »Eine Geschichte? Über mich?«
    »Im Hochland bist du eine legendäre Gestalt«, erklärte ich trocken, »oder zumindest wirst du das einmal sein.«
    »Weil ich in einer Höhle gelebt habe?« Er wirkte halb erfreut, halb verlegen. »Das ist ein ziemlich alberner Stoff für eine Legende, aye?«
    »Der Plan, dich für das Kopfgeld an die Engländer verraten zu lassen, war vielleicht ein bißchen dramatischer«, bemerkte ich sachlich. »Bist

Weitere Kostenlose Bücher