Ferne Ufer
eingeweiht.
Sanft wie ein Nachtfalter glitt meine Hand über sein Bein und erspürte die tiefe Narbe. Im Dunkeln tasteten meine Finger sie ab und fragten am Ende mit dem Hauch einer Berührung wortlos: »Wie?«
Seufzend legte er seine Hand auf meine.
»Culloden«, flüsterte er. Das Wort beschwor die Tragödie, den Tod, die Sinnlosigkeit herauf. Und unsere schreckliche Trennung.
»Ich werde dich nie wieder verlassen«, flüsterte ich.
Er drehte den Kopf auf dem Kissen, und seine Lippen streiften meine, eine Berührung leicht wie ein Insektenflügel. Dann legte er sich auf den Rücken und zog mich an sich.
Etwas später spürte ich einen kühlen Luftzug am Unterarm. Ich öffnete die Augen und sah, daß er auf der Seite lag und sich in die Betrachtung meiner Hand vertiefte. Sie ruhte reglos auf der Decke, wie aus weißem Stein gemeißelt, während graues Licht das Nahen des Tages ankündigte.
»Beschreib sie mir«, flüsterte er, während er sanft meine Finger nachzeichnete.
»Was hat sie von dir, was von mir? Kannst du mir das sagen? Sind ihre Hände wie deine, Claire, oder wie meine? Beschreib sie mir, damit ich sie vor mir sehe.« Er legte seine Hand neben meine. Es war seine gesunde; die Finger waren gerade und ebenmäßig.
»Wie meine«, sagte ich. So kurz nach dem Erwachen war meine Stimme so leise und heiser, daß sie kaum das Trommeln des Regens draußen übertönte. Im Haus herrschte Schweigen.
»Sie hat lange, schmale Hände wie ich - aber ihre sind größer als meine, der Handrücken ist breiter, und am Handgelenk an der Außenseite sind sie gewölbt - so. Wie bei dir. Und ihren Puls spürt man da, genau wie bei dir.« Ich berührte die Stelle, wo eine Vene die Speiche kreuzte - genau am Übergang zwischen Hand und Handgelenk. Er hielt so ruhig, daß ich seinen Herzschlag unter meinen Fingerspitzen fühlte.
»Ihre Fingernägel sind eckig wie deine, nicht oval wie meine. Aber ihr kleiner Finger an der rechten Hand ist gekrümmt wie bei mir«, sagte ich und hob ihn an. »Bei meiner Mutter war es auch so, hat Onkel Lambert mir erzählt.« Meine Mutter war gestorben, als ich fünf war. Ich konnte mich kaum an sie erinnern, mußte aber immer an sie denken, wenn ich meine Hand eingehend betrachtete. Ich legte die Hand mit dem gekrümmten Finger auf die seine und ließ sie dann zu seinem Gesicht wandern.
»Sie hat diese Linie«, sagte ich leise und zeichnete den kühnen Schwung von der Schläfe zur Wange nach. »Genau deine Augen und deine Wimpern und Brauen. Eine Fraser-Nase. Ihr Mund ist eher wie meiner, mit einer vollen Unterlippe, aber er ist breit, so wie deiner. Sie hat wie ich ein spitzes Kinn, aber kräftiger. Sie ist groß - fast einsachtzig.« Ich spürte, wie er vor Erstaunen zusammenfuhr, und stupste ihn sanft mit dem Knie an. »Sie hat lange Beine wie du, aber sehr weiblich.«
»Und hat sie genau da diese kleine blaue Vene?« Zärtlich strich er mit dem Daumen über meine Schläfe. »Und Ohren wie kleine Flügel, Sassenach?«
»Sie hat sich immer über ihre Ohren beklagt… behauptet, sie stünden ab.« Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, als Brianna plötzlich für uns lebendig wurde.
»Sie hat sich Löcher stechen lassen. Du hast doch nichts dagegen, oder?« Ich sprach schnell, um die Tränen zu unterdrücken. »Frank fand es nicht gut, er sagte, es sähe gewöhnlich aus und sie sollte es nicht tun, aber sie wollte, und ich habe es erlaubt, als sie sechzehn war. Ich habe auch welche. Es schien mir nicht recht, es ihr zu verbieten, wo ich es getan hatte und alle ihre Freundinnen, und ich wollte… ich wollte nicht…«
»Du hast recht getan«, unterbrach er mich, da ich mich immer mehr hineinsteigerte. »Du hast es gut gemacht«, wiederholte er leise, aber bestimmt und hielt mich fest. »Du warst eine wunderbare Mutter, das weiß ich.«
Ich weinte und drückte mich zitternd an ihn. Er umarmte mich zärtlich, streichelte meinen Rücken und murmelte immer wieder: »Du hast recht getan.« Und nach einer Weile hörte ich auf zu weinen.
»Du hast mir ein Kind geschenkt, mo duinne «, sagte er leise in
meine Locken. »Wir sind für immer zusammen. Sie ist in Sicherheit, und wir werden jetzt ewig weiterleben, du und ich.« Er küßte mich ganz zart und legte den Kopf wieder aufs Kissen. »Brianna«, flüsterte er in diesem merkwürdigen Hochlandsingsang, der ihren Namen zu seinem machte. Er seufzte tief, und einen Augenblick später war er eingeschlafen. Als auch mich
Weitere Kostenlose Bücher