Ferne Ufer
begrüßt. Ich bin Dorcas, das ist Peggy…«, sie deutete mit dem Daumen auf die Dunkelhaarige neben sich und dann auf die blonde Frau, die neben mir saß, »und das ist Mollie.«
»Ich heiße Claire.« Ich lächelte und schob die Decke verlegen ein bißchen nach oben. Ich wußte nicht recht, wie ich den Eindruck zerstreuen sollte, ich sei kürzlich von Madame Jeanne angeheuert worden; im Augenblick schien mir das auch weniger dringlich, als endlich zu meinem Frühstück zu kommen.
Die freundliche Dorcas ahnte offenbar, was mich quälte, denn sie reichte mir einen Holzteller und schob eine große Platte voller Würstchen in meine Richtung.
Das Essen war gut zubereitet, und ausgehungert, wie ich war, empfand ich es als reine Köstlichkeit. Um Längen besser als das Frühstück in der Krankenhauscafeteria, dachte ich bei mir und nahm mir noch einen Schöpflöffel Bratkartoffeln.
»Dein erster ist wohl ziemlich hart rangegangen, aye?« Millie neben mir warf einen Blick auf meine Brust. Peinlich berührt mußte ich feststellen, daß über dem Saum meiner Decke ein großer, roter Fleck hervorlugte. Meinen Hals konnte ich nicht sehen, aber Millies interessierte Blicke ließen ahnen, daß das leichte Prickeln in diesem Bereich auf weitere Bißmale hinwies.
»Deine Nase ist auch ein bißchen geschwollen«, meinte Peggy mit kritischem Stirnrunzeln. »Er hat dich geschlagen, oder? Wenn sie zu grob werden, solltest du schreien. Madame duldet es nicht, daß uns die Kunden mißhandeln - schrei einfach laut, und Bruno ist sofort zur Stelle.«
»Bruno?« fragte ich matt.
»Der Portier«, erklärte Dorcas, die sich eifrig Rührei in den Mund schaufelte. »Groß wie ein Bär ist er - deswegen nennen wir ihn Bruno. Wie heißt er eigentlich richtig?« fragte sie in die Runde. »Horace?«
»Theobald«, korrigierte Millie. Sie rief einer Dienstmagd zu: »Janie, holst du uns noch mehr Ale? Die Neue hat noch nichts bekommen!«
»Aye, Peggy hat recht«, sagte sie wieder zu mir. Hübsch war sie nicht, aber sie hatte einen schönen Mund und einen angenehmen
Gesichtsausdruck. »Wenn du einen abbekommst, der ein bißchen grob mit dir umspringt, das ist eine Sache - und hetz Bruno bloß nicht einem guten Kunden auf den Hals, sonst ist hier der Teufel los. Aber wenn du meinst, daß er dich wirklich verletzen könnte, dann brüll einfach los. Bruno ist nachts immer in Reichweite. Oh, da kommt ja das Ale.« Sie nahm dem Mädchen einen großen Zinnkrug ab und stellte ihn mir vor die Nase.
»Sie ist mit heiler Haut davongekommen«, meinte Dorcas, die mich gründlich unter die Lupe genommen hatte. »Aber ein bißchen wund zwischen den Beinen, aye?« meinte sie pfiffig und grinste mich an.
»Ooch, schaut mal, sie wird rot«, kicherte Mollie vergnügt. »Du bist wirklich noch feucht hinter den Ohren, was?«
Ich nahm einen herzhaften Schluck Ale. Es war dunkel und aromatisch, und das Bier selbst war mir ebenso willkommen wie der große Becher, hinter dem ich mein Gesicht verstecken konnte.
»Mach dir nichts draus.« Mollie tätschelte freundlich meinen Arm. »Nach dem Frühstück zeig ich dir, wo die Wannen stehen. Da kannst du ein warmes Bad nehmen, und heute abend bist du so gut wie neu.«
»Vergiß nicht die Kräutertöpfe«, warf Dorcas ein. »Süß duftende Kräuter«, erklärte sie mir. »Die tust du ins Wasser, bevor du dich reinsetzt. Madame will, daß wir gut riechen.«
»Wenn där Mahn liegen will bei einem Fisch, soll är gehen zu die’afen, das ist billiger«, ahmte Peggy Madame Jeanne nach. Die anderen kicherten hemmungslos, doch das Lachen erstarb schlagartig, als Madame höchstpersönlich in der Tür erschien.
Sie runzelte besorgt die Stirn und war so geistesabwesend, daß sie die unterdrückte Heiterkeit nicht zu bemerken schien.
»Tss!« murmelte Mollie, als sie ihre Chefin sah. »Ein Kunde. Ich hasse es, wenn sie mitten unter dem Frühstück kommen«, brummte sie. »Wie soll man da sein Essen verdauen?«
»Keine Sorge, Mollie - Claire muß ihn nehmen«, meinte Peggy und warf ihren dunklen Zopf nach hinten. »Eine Neue muß immer die Kunden nehmen, die keine will«, beschied sie mir.
»Steck ihm den Finger in den Arsch«, riet mir Dorcas. »Da kommt’s ihnen gleich. Ich hebe dir einen Haferkuchen für nachher auf, wenn du magst.«
»Äh… danke«, sagte ich. In diesem Augenblick fiel Madame Jeannes Blick auf mich, und sie stieß ein entsetztes »Oh!« aus.
»Was machen Sie denn hier?« fragte sie und stürzte
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