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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Ich sollte es erfahren. Der kleine Chinese griff in die Tiefen eines ausgebeulten blauseidenen Ärmels und zog mit
Verschwörermiene einen kleinen, weißen Seidenbeutel hervor. Er öffnete ihn, und zwei Kugeln rollten in seine Hand, die aus einem grünlich schimmernden Edelstein gefertigt waren.
    »Gesunde Kugeln«, erklärte Mr. Willoughby und ließ sie auf seiner Handfläche kreisen. »Gemaserte Jade aus Kanton«, erklärte er. »Beste Art von gesunde Kugeln.«
    »Wirklich?« murmelte ich fasziniert. »Und sie wirken medizinisch… sind gut für Sie, wollten Sie das sagen?«
    Er nickte eifrig und erklärte: »Ganzer Körper ein Teil; Hand alle Teile«, sagte er. Er deutete mit dem Finger auf seine offene Handfläche und drückte behutsam auf bestimmte Stellen zwischen den glatten grünen Kugeln. »Kopf da, Magen da, Leber da«, sagte er. »Kugeln machen alles gut.«
    »Und vermutlich kann man sie so leicht mit sich herumtragen wie Alka-Seltzer«, bemerkte ich. Wahrscheinlich war es die Erwähnung des Magens, die den meinen veranlaßte, ein lautes Knurren von sich zu geben.
    »Erste Ehefrau brauchen Essen«, bemerkte Mr. Willoughby schlau.
    »Gut beobachtet«, sagte ich. »Ja, ich brauche wirklich etwas zu essen. Könnten Sie wohl gehen und jemandem Bescheid sagen?«
    Er ließ die Kugeln wieder in ihr Säckchen fallen, sprang auf und verbeugte sich tief.
    »Demütiger Diener gehen jetzt«, sagte er und krachte auf dem Weg hinaus mit aller Wucht gegen den Türpfosten.
     
    Allmählich wurde die Sache lächerlich, dachte ich bei mir. Ich hegte gelinde Zweifel, ob Mr. Willoughbys Besuch die Lieferung des Frühstücks nach sich ziehen würde; mit etwas Glück hatte er es das Treppenhaus hinunter geschafft, ohne auf den Kopf zu fallen, wenn ich seinen Zustand richtig beurteilte.
    Es schien mir an der Zeit, nicht länger nackt herumzusitzen und Abgesandte der Außenwelt zu empfangen, sondern lieber selbst diverse Schritte zu unternehmen. Also stand ich auf, drapierte sorgfältig die Decke um mich und wagte mich auf den Flur hinaus.
    Das oberste Stockwerk war offenbar menschenleer. Abgesehen von dem Zimmer, aus dem ich getreten war, gab es hier nur noch
zwei weitere Türen. Als ich aufblickte, sah ich schmucklose Dachbalken an der Decke. Wir befanden uns also auf dem Dachboden; wahrscheinlich wurden die beiden anderen Räume von Dienstboten bewohnt, die jetzt im Haus zu tun hatten.
    Von unten drangen nicht nur leise Geräusche herauf, sondern auch der Geruch von gebratenen Würstchen. Mit lautstarkem Knurren machte mich mein Magen darauf aufmerksam, daß der Verzehr von einem Erdnußbutterbrot und einer Schale Suppe im Lauf von vierundzwanzig Stunden völlig unzureichend sei.
    Ich steckte die Enden der Decke fest, hob die Schleppe an und stieg, dem verlockenden Duft folgend, die Treppe hinunter.
    Der Duft kam aus einem Zimmer im ersten Stock. Ich öffnete die Tür und stand am Ende eines länglichen Raums, der als Speisesaal diente.
    Um den Tisch saßen etwa zwanzig Frauen, einige waren für den Tag gekleidet, aber die meisten trugen Negligés, neben denen meine Decke ein überaus sittsames Kleidungsstück darstellte. Eine Frau am Ende der Tafel sah, wie ich zögernd in der Tür stand, nickte mir zu und rückte ein Stück, um mir auf der langen Bank Platz zu machen.
    »Du bist wohl die Neue, aye?« fragte sie und musterte mich neugierig. »Du bist ein bißchen älter als das, was Madame sonst aufnimmt - sie dürfen eigentlich nicht älter als fünfundzwanzig sein. Aber du siehst nicht übel aus«, versicherte sie mir hastig. »Ich bin sicher, du machst dich ganz gut.«
    »Gute Haut und ein hübsches Gesicht«, bemerkte eine dunkelhaarige Dame, die uns gegenübersaß und mich so gelassen betrachtete, als handelte es sich um Pferdefleisch. »Und der Busen ist auch nicht schlecht, soviel ich sehe.« Sie reckte das Kinn ein wenig und spähte mir über den Tisch hinweg in den Ausschnitt.
    »Madame mag es nicht, wenn wir die Decken vom Bett nehmen«, bemerkte meine erste Bekanntschaft vorwurfsvoll. »Komm halt einfach im Hemd, wenn du noch nichts Hübsches anzuziehen hast.«
    »Aye, sei vorsichtig mit der Decke«, riet mir das dunkelhaarige Mädchen. »Madame zieht es dir vom Lohn ab, wenn du Flecken aufs Bettzeug machst.«
    »Wie heißt du eigentlich, Schätzchen?« Ein ziemlich rundliches
Mädchen mit freundlichem Gesicht lehnte sich vor und lächelte mich an. »Wir reden alle auf dich ein und haben dich noch nicht mal

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