Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
tat er so, als ob er den Jungen nicht getroffen hätte? Dessen Vater war Jamies ältester Freund; sie waren zusammen aufgewachsen. Wenn das, was Jamie im Schilde führte, es wert war, seinen Schwager hinters Licht zu führen, mußte es etwas Ernstes sein.
    Meine Überlegungen waren noch nicht viel weiter gediehen, als es wieder an der Tür klopfte.

    »Herein.« Vorsorglich glättete ich die Decken, damit man ein Frühstückstablett darauf abstellen konnte.
    Als die Tür aufging, fixierte ich einen Punkt etwa anderthalb Meter über dem Fußboden, wo aller Wahrscheinlichkeit nach der Kopf des Mädchens auftauchen würde. Beim vorigen Mal hatte ich den Blick ein Stück höher richten müssen, um die Erscheinung des jungen Ian ganz aufzunehmen. Jetzt mußte ich nach unten korrigieren.
    »Was zum Teufel machen Sie denn hier?« fragte ich, als die winzige Gestalt des Mr. Willoughby auf allen vieren hereinkroch. Ich setzte mich auf, schlug die Beine unter und hüllte mich hastig nicht nur in das Laken, sondern auch in einige Decken.
    Statt zu antworten, rückte der Chinese bis zum Bett vor und schlug dann mit der Stirn mit einem vernehmbaren Geräusch auf den Boden. Diesen Vorgang wiederholte er mit Bedacht. Es klang, als würde eine Melone mit einer Axt gespalten.
    »Aufhören!« rief ich, als er zum drittenmal ansetzte.
    »Tausendfach Verzeihung«, sagte er, setzte sich auf die Fersen und zwinkerte mir zu. Er sah ziemlich mitgenommen aus, und das dunkelrote Mal an der Stelle, wo er die Stirn auf den Boden geschlagen hatte, machte es auch nicht besser.
    »Ist schon gut«, sagte ich und drückte mich vorsichtig an die Wand. »Es gibt nichts, wofür Sie sich entschuldigen müßten.«
    »Doch, Verzeihung«, beharrte er. »Tsei-mi sagen Ehefrau. Dame ist höchst ehrenwerte erste Ehefrau und keine stinkende Hure.«
    »Vielen Dank«, sagte ich. »Tsei-mi? Sie meinen Jamie? Jamie Fraser?«
    Der kleine Mann nickte, was ihm offenbar Kopfschmerzen bereitete. Er hielt seinen Kopf mit beiden Händen und schloß die Augen, die in den Falten seines Gesichts fast verschwanden.
    »Tsei-mi«, bekräftigte er. »Tsei-mi sagen, Verzeihung bei höchst ehrenwerte erste Ehefrau. Yi Tien Tschu demütiger Diener.« Er verbeugte sich tief, wobei er immer noch seinen Kopf festhielt. »Yi Tien Tschu«, fügte er hinzu, öffnete die Augen und klopfte sich auf die Brust, um anzudeuten, daß er so hieß, nur für den Fall, daß ich ihn mit anderen demütigen Dienern in der Nachbarschaft verwechselte.
    »Ich verstehe«, sagte ich. »Erfreut, Sie kennenzulernen.«

    Offensichtlich ermutigt durch meine Worte, streckte er sich bäuchlings auf dem Boden aus.
    »Yi Tien Tschu, Diener der Dame«, sagte er. »Erste Ehefrau bitte umhergehen auf demütigen Diener, wenn belieben.«
    »Ha«, erwiderte ich kühl. »Ich weiß Bescheid. Auf Ihnen herumgehen? Verdammt unwahrscheinlich!«
    Ein glitzerndes Schwarzauge öffnete sich, und er kicherte so unwiderstehlich, daß ich selbst lachen mußte. Er setzte sich wieder auf und strich sich schmutzstarrende schwarze Haarsträhnen aus der Stirn.
    »Ich wasche erste Ehefrau Füße?« bot er mit breitem Grinsen an.
    »Gewiß nicht«, entgegnete ich. »Wenn Sie wirklich etwas Sinnvolles tun wollen, dann gehen Sie und bestellen Sie dem Mädchen, es soll mir mein Frühstück bringen. Nein, einen Augenblick«, sagte ich und besann mich anders. »Erzählen Sie mir zuerst, wo Sie Jamie kennengelernt haben. Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, fügte ich höflich hinzu.
    Er setzte sich wieder auf die Fersen und warf den Kopf hoch. »Hafen«, sagte er. »Vor zwei Jahren. Ich kommen China, lange Reise, kein Essen. Verstecken Faß«, erklärte er und beschrieb mit den Armen einen Kreis.
    »Als blinder Passagier?«
    »Handelsschiff«, nickte er. »Im Hafen hier Essen stehlen. In einer Nacht stehlen Brandy, stockbesoffen. Sehr kalt zu schlafen, bald sterben, aber Tsei-mi finden.« Wieder bohrte er einen Daumen in seine Brust. »Tsei-mis demütiger Diener. Demütiger Diener erster Ehefrau.«
    Er verbeugte sich vor mir, wobei er bedenklich schwankte, konnte sich aber wieder aufrichten, ehe ein Unglück passierte.
    »Branntwein scheint Ihr Schicksal zu sein«, bemerkte ich. »Tut mir leid, daß ich Ihnen nichts für Ihren Kopf geben kann. Im Augenblick habe ich keine Arznei zur Hand.«
    »Oh, keine Sorgen«, beruhigte er mich. »Ich habe gesunde Kugeln.«
    »Wie schön für Sie«, sagte ich und überlegte, was das nun wieder heißen sollte.

Weitere Kostenlose Bücher