Ferne Ufer
schmerzliche Nachricht erhalten.«
»Das würde ich auch sagen«, bemerkte ich. »Was hat es mit diesem Teufel auf sich?«
»Sie haben es gehört?« Madame Jeanne war bereits blaß, aber nun wurde sie noch einige Schattierungen bleicher und rang die Hände. »Was wird er sagen! Er wird rasen vor Wut!« stöhnte sie.
»Wer?« fragte ich. »Jamie oder der Teufel?«
»Ihr Gatte«, sagte sie. Geistesabwesend blickte sie sich um. »Wenn er erfährt, daß seine Gattin so schändlich vernachlässigt und für eine fille de joie gehalten wurde und einer - einer -«
»Ich glaube wirklich nicht, daß er es so schlimm findet«, sagte ich. »Aber ich möchte gern mehr über den Teufel wissen.«
»Wirklich?« fragte Bruno erstaunt. Er war groß und kräftig, mit hängenden Schultern und langen Armen, so daß er eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Gorilla hatte; dieser Eindruck verstärkte sich durch seine niedrige Stirn und sein fliehendes Kinn. Die Rolle des Rausschmeißers in einem Bordell war ihm auf den Leib geschrieben.
»Und jetzt?« Er zögerte und sah Madame Jeanne hilfesuchend an, aber die Inhaberin warf einen Blick auf eine kleine Emailleuhr auf dem Kaminsims und sprang mit einem Ausruf des Schreckens auf.
»Crottin!« rief sie. »Ich muß gehen!« Sie winkte mir nur noch flüchtig zu und eilte aus dem Zimmer. Bruno und ich schauten ihr verblüfft nach.
»Ach ja«, sagte er, sich langsam erholend, »es sollte um zehn kommen.« Es war Viertel nach zehn. Hoffentlich konnte »es« warten.
»Teufel«, sagte ich, um ihm auf die Sprünge zu helfen.
Wie die meisten Menschen war Bruno mehr als willig, mit blutrünstigen Einzelheiten aufzuwarten, nachdem er der Form halber zunächst ein wenig Zurückhaltung und Feingefühl gezeigt hatte.
Der Teufel von Edinburgh war - wie ich dem bisherigen Gespräch bereits entnommen hatte - ein Mörder. Er hatte sich auf Prostituierte spezialisiert, die er mit Axthieben tötete, bisweilen auch verstümmelte.
Die Morde - acht insgesamt - hatten sich im Lauf der vergangenen zwei Jahre ereignet. Mit einer Ausnahme waren die Frauen in ihrem eigenen Zimmer umgebracht worden; die meisten lebten allein - zwei waren in einem Bordell ermordet worden. Das war vermutlich der Grund für Madames Erregung.
»Was war die Ausnahme?« erkundigte ich mich.
Bruno bekreuzigte sich. »Eine Nonne«, wisperte er; diese Worte auszusprechen ging schier über seine Kraft. »Eine barmherzige Schwester aus Frankreich.«
Die Schwester war auf dem Seeweg mit einer Gruppe von Nonnen in Edinburgh angekommen, war am Hafen entführt worden, was ihre Gefährtinnen in dem Gedränge nicht gleich bemerkten. Als man sie nach Einbruch der Dunkelheit in einer Gasse Edinburghs fand, war es zu spät.
»Vergewaltigt?« erkundigte ich mich sachlich.
Bruno beäugte mich mißtrauisch.
»Ich weiß nicht«, antwortete er förmlich. Schwerfällig richtete er sich auf und ließ erschöpft die Schultern hängen. Wahrscheinlich war er die ganze Nacht im Dienst gewesen und wollte sich nun aufs Ohr legen. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Madame«, sagte er distanziert und ging hinaus.
Leicht benommen machte ich es mir auf dem kleinen Samtsofa bequem. Mir war nicht bewußt gewesen, daß in einem Bordell auch tagsüber so viel los war.
Plötzlich polterte es an der Tür, als wollte sich jemand mit einem Metallhammer Zutritt verschaffen. Dann sprang sie auf, und herein kam ein schlanker, herrischer Mann, der so schnell und so wütend französisch sprach, daß ich nicht eine Silbe verstand.
»Suchen Sie Madame Jeanne?« wagte ich einzuwerfen, als er kurz Atem holte. Der Besucher war ein ausgesprochen gutaussehender junger Mann um die Dreißig mit dichten, schwarzen Haaren und Brauen. Während er mich noch wütend musterte, vollzog sich eine erstaunliche Wandlung in seinem Gesicht. Er zog die Brauen hoch, riß seine schwarzen Augen auf und wurde leichenblaß.
»Madame!« rief er, warf sich auf die Knie und drückte sein Gesicht gegen meinen nur mit dem Hemd bedeckten Bauch.
»Lassen Sie mich los!« protestierte ich und versuchte, mich zu befreien. »Ich arbeite nicht hier. Lassen Sie los, sage ich!«
»Madame!« wiederholte er verzückt. »Sie sind zurückgekehrt! Ein Wunder! Gott hat Sie uns zurückgegeben!«
Unter Tränen lächelnd, blickte er zu mir auf. Er hatte große, makellose Zähne. Plötzlich regte sich meine Erinnerung und zeigte mir in den verwegenen Zügen des Mannes das Gesicht eines kleinen
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