Ferne Ufer
reckten. Der Rauchgeruch hing heiß und stechend in der feuchten Abendluft, und Hitzewellen schlugen mir ins Gesicht, als ich mich in die Gasse drängte.
Ohne Zögern warf sich Jamie in die Menge und bahnte sich mit Gewalt einen Weg. Ich hielt mich dicht hinter ihm, bevor die menschlichen Wogen wieder zusammenschlugen, und kämpfte mich unter Einsatz meiner Ellbogen durch.
Dann tauchten wir aus der Menge auf. Dichte, graue Rauchwolken drangen aus den beiden unteren Fenstern der Druckerei, und ich hörte ein wisperndes, knisterndes Geräusch, das den Lärm der Schaulustigen übertönte, als führte das Feuer Selbstgespräche.
»Meine Druckerpresse!« Mit einem Schrei des Entsetzens stürzte Jamie die Vordertreppe hinauf und trat die Tür ein. Eine Rauchwolke wälzte sich aus dem offenen Eingang und verschlang ihn wie ein hungriges Raubtier. Ich sah noch, wie er ins Taumeln geriet, sich auf die Knie fallen ließ und auf allen vieren ins Haus kroch.
Seinem Beispiel folgend, liefen einige Männer aus der Menge die Stufen zur Druckerei hinauf und verschwanden in gleicher Weise
in dem verrauchten Innenraum. Die Hitze war so übermächtig, daß ich mich fragte, wie es die Männer im Haus nur aushielten.
Rufe aus der Menge hinter mir kündigten das Eintreffen der mit Eimern bewaffneten Stadtwache an. Offenbar an diese Aufgabe gewöhnt, warfen die Männer ihre weinroten Uniformjacken ab und begannen sofort, das Feuer zu bekämpfen: Sie zerschlugen die Fenster und schütteten wild entschlossen eimerweise Wasser hinein.
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die tapferen Bemühungen der Eimerbrigade viel gegen das bereits lichterloh brennende Feuer ausrichten konnten. Ich schob mich durch das Gedränge und versuchte zu erspähen, ob sich drinnen etwas bewegte. Aber da sprang der erste Mann in der Eimerkette mit einem Aufschrei beiseite, um einem Setzkasten voller Bleilettern auszuweichen, der durch das zerbrochene Fenster geflogen kam und krachend auf dem Pflaster landete.
Zwei, drei Bengel bahnten sich einen Weg durch die Menge und griffen nach den Lettern, wurden aber von empörten Nachbarn geohrfeigt und verscheucht. Eine rundliche Dame mit Haube und Schürze machte einen halsbrecherischen Satz nach vorn, nahm den schweren Setzkasten in Gewahrsam und zog ihn an den Bordstein, wo sie sich schützend wie eine Glucke darauf niederließ.
Bevor ihre Gefährtinnen die verstreuten Lettern einsammeln konnten, wurden sie von einem Hagelschauer anderer Gegenstände vertrieben, die aus beiden Fenstern flogen: weitere Setzkästen, Druckwalzen, Anschwärzballen und Flaschen voller Drukkerschwärze, die auf dem Pflaster zerbrachen.
Neubelebt durch den Luftzug, der durch die offene Tür und die Fenster drang, schwoll das Wispern des Feuers zu einem selbstzufrieden lachenden Gebrüll an.
Ein erneutes Durcheinander am Eingang der Gasse kündigte nun das verspätete Eintreffen der Feuerspritze an. Die wogende Menge teilte sich wie das Rote Meer, um ihr Zugang zu verschaffen. Sie wurde von Männern gezogen und nicht von Pferden, die in den verwinkelten Gassen nicht durchgekommen wären.
Die Feuerspritze war ein Wunderwerk aus Messing, das im Widerschein der Flammen aussah, als glühte es selbst. Die Hitze wurde heftiger, und ich spürte, wie meine Lunge sich bei jedem
Atemzug schwerer tat. Ich hatte schreckliche Angst um Jamie. Wie lange würde er in diesem teuflischen Nebel aus Rauch und Hitze atmen können, ganz abgesehen von der Gefahr, die von den Flammen ausging?
»Jesus, Maria und Joseph!« Plötzlich stand Ian, der sich ungeachtet seines Holzbeins durch die Menge gekämpft hatte, an meiner Seite. Er griff nach meinem Arm, um das Gleichgewicht zu wahren.
»Wo ist Jamie?« brüllte er mir ins Ohr.
»Da drinnen!« brüllte ich zurück und deutete aufs Haus.
Plötzlich geriet am Eingang etwas in Bewegung, und es wurden verwirrte Rufe laut, die selbst den Lärm des Feuers übertönten. Zuerst sah man unter der Rauchwolke an der Tür nur die Beine, doch dann tauchten sechs Männer auf - unter ihnen Jamie -, die unter dem Gewicht einer riesigen, sperrigen Maschine wankten - Jamies kostbare Druckerpresse. Sie trugen sie vorsichtig die Eingangstreppe hinunter und schoben sie in die Menge hinein. Dann wandten sie sich wieder zur Druckerei um.
Doch für weitere Rettungsmanöver war es zu spät. Im Innern ertönte ein Krachen, eine neuerliche Hitzewelle ließ die Menge zurückweichen, und plötzlich waren die Fenster des oberen
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