Ferne Ufer
er ist in Ordnung. Hilfst du uns auf?«
Gälische Koseworte murmelnd, als spräche er zu einem Baby, beugte sich Ian über seinen Sohn, der inzwischen auf dem Bordstein saß und hin- und herschwankte wie ein Reiher im Sturm.
Als wir Madame Jeannes Haus erreichten, konnte der junge Ian zwar wieder laufen, wurde aber noch von seinem Vater und seinem Onkel gestützt. Bruno, der uns öffnete, blinzelte bei unserem Anblick ungläubig, doch dann riß er die Tür weit auf und lachte so herzlich, daß er sie kaum wieder schließen konnte.
Ich mußte zugeben, daß wir ein Bild des Jammers boten: Wir alle waren bis auf die Haut durchnäßt; Jamie und ich waren barfuß,
und Jamies rußverschmierte Kleider hingen ihm in Fetzen vom Leib. Ian fielen die nassen Haare in die Augen, so daß er wie eine ersoffene Ratte mit Holzbein aussah.
Doch es war sein Sohn, der im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, als mehrere Hausbewohnerinnen aus dem Salon spähten, um zu sehen, warum Bruno solchen Lärm machte. Mit seinen angesengten Haaren, dem verschwollenen roten Gesicht, der schnabelartigen Nase und den wimpernlosen Augen glich er dem Küken einer exotischen Vogelart - einem frisch geschlüpften Flamingo etwa. Es war ihm unmöglich, noch tiefer zu erröten, aber sein Nacken leuchtete feuerrot, als wir unter dem Gekicher der Frauen die Treppe hinaufstiegen.
Nachdem wir uns in den kleinen Salon im ersten Stock zurückgezogen und die Tür hinter uns geschlossen hatten, wandte sich Ian seinem unseligen Sohn zu.
»Du bleibst uns also erhalten, du Strolch?«
»Aye, Sir«, erwiderte der junge Ian mit einem so jämmerlichen Krächzen, als hätte er die Frage lieber verneint.
»Gut«, erwiderte sein Vater grimmig. »Willst du eine Erklärung abgeben, oder soll ich dir gleich eine gehörige Abreibung verpassen und uns beiden Zeit sparen?«
»Du kannst jemanden, dem gerade die Augenbrauen weggesengt wurden, nicht verprügeln, Ian«, protestierte Jamie heiser und schenkte aus der Karaffe auf dem Tisch ein Glas Portwein ein. »Das wäre nicht sehr human.« Er grinste seinen Neffen aufmunternd an und gab ihm das Glas, nach dem der Junge hastig griff.
»Aye, da magst du recht haben«, meinte Ian und musterte seinen Sohn. Seine Mundwinkel zuckten. Der Junge bot einen bemitleidenswert komischen Anblick. »Das heißt aber nicht, daß ich dir nicht später das Fell gerben werde«, warnte er ihn, »und zwar unabhängig davon, was deine Mutter mit dir anstellt, wenn sie dich wiedersieht. Aber im Augenblick kannst du unbesorgt sein.«
Dieses großmütige Zugeständnis schien den Jungen nicht sonderlich zu beruhigen. Er blieb die Antwort schuldig und steckte die Nase in sein Portweinglas.
Dankbar nahm ich mein eigenes Glas entgegen. Etwas verspätet war mir klargeworden, warum die Bürger Edinburghs mit so viel
Widerwillen auf Regen reagierten; einmal durchnäßt, war es verdammt schwer, wieder trocken zu werden.
Ich zupfte an meinem feuchten Mieder, fing den interessierten Blick des jungen Ian auf und entschied bedauernd, daß ich es vor den Augen des Jungen nicht ausziehen konnte. Der Umgang mit Jamie hatte ihn offenbar schon genug verdorben. Statt dessen labte ich mich an dem Portwein und genoß die Wärme, die sich in mir ausbreitete.
»Geht es dir so gut, daß du ein wenig reden kannst, Junge?« Jamie ließ sich seinem Neffen gegenüber auf einem Kniekissen nieder.
»Aye… ich glaube schon«, krächzte der Junge vorsichtig. Dann räusperte er sich und wiederholte mit festerer Stimme: »Aye, ich kann reden.«
»Gut. Dann möchte ich erstens wissen, wie es kam, daß du in der Druckerei warst, und dann, wie das Feuer entstanden ist?«
Der junge Ian dachte eine Weile nach, stärkte sich noch einmal mit einem Schluck Portwein und erwiderte: »Ich habe es gelegt.«
Bei diesen Worten setzten sich Ian und Jamie kerzengerade auf. Ich sah, daß Jamie bei der Frage, ob es ratsam sei, Leute ohne Augenbrauen zu versohlen, allmählich zu einem anderen Ergebnis kam. Aber er zügelte seinen Zorn und sagte nur: »Warum?«
Der Junge nahm noch einen Schluck, hustete, trank wieder und suchte offensichtlich nach Worten.
»Also«, begann er unsicher, »da war ein Mann…« Dann verstummte er wieder.
»Ein Mann«, wiederholte Jamie geduldig, da sein Neffe allem Anschein nach plötzlich taubstumm geworden war. »Was für ein Mann?«
Der junge Ian umklammerte sein Glas mit beiden Händen und sah zutiefst unglücklich aus.
»Antworte deinem Onkel, du
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