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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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das, Sir!« Dann bekreuzigte er sich. Die Menge brüllte, als auf dem Dach des Süßwarengeschäfts zwei Gestalten auftauchten. Ian ließ meine Hand los und sprang nach vorn.
    Jamie hatte den Arm um den schwankenden Jungen gelegt. Es war offensichtlich, daß keiner von beiden den Rückweg durch das angrenzende Gebäude bewältigen würde.
    In diesem Augenblick erblickte Jamie unten auf der Straße Ian und rief ihm zu: »Seil!«
    Ein Seil war zur Hand; die Stadtwache war gut ausgerüstet. Ian riß dem Wachmann, der auf ihn zukam, zu dessen Empörung die Rolle aus den Händen und wandte sich zum Dach.
    Ich sah Jamies Zähne blitzen, als er seinen Schwager angrinste, was Ian mit einem Lächeln erwiderte. Wie oft hatten sie einander
schon ein Seil zugeworfen, um Heu auf den Scheunenboden zu ziehen oder eine Last auf einem Wagen festzuzurren?
    Die Menge wich zurück, als Ian ausholte, und die schwere Rolle flog hinauf, entrollte sich im Flug und landete zielsicher in Jamies ausgestreckter Hand. Jamie zog das baumelnde Seilende zu sich hoch und band es am Kamin des Hauses fest.
    Nach einigen gefahrvollen Augenblicken landeten die beiden rußgeschwärzten Gestalten wohlbehalten auf der Straße. Der Junge, dem Jamie das Seil um die Brust gebunden hatte, hielt sich noch einen Augenblick aufrecht, doch als das Seil erschlaffte, sank er zu Boden.
    »Alles in Ordnung? A bhalaich , antworte mir!« Ian fiel neben seinem Sohn auf die Knie und wollte gleichzeitig das Seil lösen und den Kopf des Jungen stützen.
    Jamie lehnte am Geländer des Süßwarengeschäfts und hustete sich die Lunge aus dem Leib, aber sonst schien er unverletzt. Ich ließ mich auf der anderen Seite des Jungen nieder und bettete seinen Kopf in meinen Schoß.
    Bei seinem Anblick wußte ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Am Morgen hatte er, wenn schon nicht schön, so doch nett ausgesehen. Jetzt, am Abend, war das dichte Haar auf einer Seite bis auf ein paar rötliche Stoppeln versengt, und seine Augenbrauen und Wimpern waren völlig verbrannt. Die Haut darunter war rußverschmiert und rosig wie bei einem Spanferkel am Spieß.
    Sein Puls schlug beruhigend kräftig, aber der Junge atmete heiser und unregelmäßig. Er hustete gequält.
    »Ist er in Ordnung?« Ian griff seinem Sohn unter die Arme und setzte ihn auf. Sein Kopf wackelte, und er fiel vornüber in meine Arme.
    »Ich glaube schon, bin mir aber nicht sicher.« Der Junge hustete immer noch, war aber nicht ganz bei Bewußtsein. Er lag an meiner Schulter wie ein großes Baby, und ich klopfte ihm auf den Rücken, während er würgte und keuchte.
    »Ist er in Ordnung?« Diesmal kam die Frage von Jamie, der neben mir in die Hocke ging. Seine Stimme war so heiser, daß ich sie kaum wiedererkannte.
    »Ich denke schon. Und was ist mit dir? Du siehst aus wie Malcolm X«, sagte ich und musterte ihn über Ians Schulter hinweg.

    »Tatsächlich?« Verblüfft betastete er sein Gesicht, grinste aber dann beruhigend. »Wie ich aussehe, weiß ich nicht, aber ganz sicher bin ich noch kein Ex-Malcolm, nur an den Rändern ein bißchen versengt.«
    »Zurück! Zurück!« Der graubärtige Hauptmann der Stadtwache stand neben mir und zog mich am Ärmel. »Sie müssen hier weg, Madam, das Dach kommt runter!«
    Und tatsächlich stürzte das Dach der Druckerei ein, während wir uns in Sicherheit brachten. Als eine gewaltige Funkenfontäne in den dunklen Abendhimmel stieg, stöhnten die Zuschauer auf.
    Als wollte sich der Himmel derartige Störungen verbitten, fielen gleich darauf schwere Regentropfen auf die Pflastersteine. Die Edinburgher, die eigentlich an den Regen hätten gewöhnt sein mußten, gaben Laute der Verwunderung von sich, zogen sich wie ein Schwarm Küchenschaben in die Nachbarhäuser zurück und überließen es der Natur, das Werk der Feuerspritze zu vollenden.
    Kurze Zeit später hockten Ian und ich allein mit dem Jungen auf der Straße. Jamie, der die Wachleute und andere Helfer großzügig entlohnt und dafür gesorgt hatte, daß seine Druckerpresse mit Zubehör im Lagerraum des Barbiers untergebracht wurde, kam mit müden Schritten auf uns zu.
    »Wie geht’s dem Jungen?« fragte er und wischte sich mit der Hand über das rußgeschwärzte Gesicht. Es regnete inzwischen in Strömen, was ihm ein äußerst malerisches Aussehen verlieh. Ian sah ihn an, und zum erstenmal wichen Angst und Zorn aus seinem Gesicht. Er lächelte Jamie schief an.
    »Er sieht nicht viel besser aus als du, Mann - aber ich glaube,

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