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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wieder im Blue Boar. Aber er hat nur ein Schlückchen genommen und dann das fast volle Glas stehenlassen. In den anderen Wirtshäusern hat er gar nichts getrunken, und wir waren in fünf, bis ich…« Er verstummte.

    Jamie war inzwischen ein Licht aufgegangen. »So ist das also«, sagte er zu sich. »In der Tat.« Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Jungen zu. »Und was ist dann geschehen?«
    Sein Neffe machte nun wieder ein zerknirschtes Gesicht. Er schluckte schwer.
    »Es war ein schrecklich langer Weg von Kerse nach Edinburgh«, fing er an, »da wird einem die Kehle trocken…«
    Vater und Onkel tauschten einen vielsagenden Blick.
    »Du hast viel getrunken«, bemerkte Jamie resigniert.
    »Ich konnte ja schließlich nicht wissen, daß er in so viele Tavernen gehen würde, oder?« verteidigte sich der Neffe und bekam rote Ohren.
    »Nein, natürlich nicht, mein Junge«, sagte Jamie freundlich und schnitt damit Ian das Wort ab, der zu einer strengeren Bemerkung angesetzt hatte. »Wie lange hast du durchgehalten?«
    Wie sich herausstellte, war der Junge dem Mann die halbe Royal Mile hinunter gefolgt, bis er, überwältigt von den Auswirkungen des Gewaltmarsches und etwa zwei Litern Ale, in einer Ecke eindöste und erst eine Stunde später wieder aufwachte, um festzustellen, daß der Verfolgte über alle Berge war.
    »Also bin ich hierhergekommen«, erklärte er. »Ich dachte, Onkel Jamie sollte davon erfahren, aber er war nicht da.« Der Junge warf mir einen Blick zu. Seine Ohren glühten förmlich.
    »Und warum hast du geglaubt, daß er hier wäre?« Ian bedachte seinen Sohn mit einem bohrenden Blick, der sich dann auf seinen Schwager richtete. Der siedende Zorn, den Ian seit dem Morgen zu beherrschen versuchte, kochte über. »Eine himmelschreiende Frechheit von dir, Jamie Fraser, meinen Sohn in ein Hurenhaus zu schleppen!«
    »Du brauchst grade was zu sagen, Papa!« Der junge Ian war aufgesprungen; er schwankte zwar ein wenig, hatte aber die knochigen Hände fest in die Seiten gestemmt.
    »Ich? Was soll das heißen, du Grünschnabel?« rief Ian mit funkelnden Augen.
    »Ich will sagen, daß du ein verdammter Heuchler bist!« rief sein Sohn mit heiserer Stimme. »Mir und Michael predigst du Reinheit und Treue, derweil du durch die Stadt schleichst und den Huren nachsteigst!«

    »Was?« Ian war puterrot angelaufen. Ich warf Jamie einen bestürzten Blick zu, doch dieser schien die Situation amüsant zu finden.
    »Du bist ein… ein… gottverdammter Pharisäer!« Trimphierend brachte der junge Ian seinen Vergleich vor. Dann hielt er inne, als wollte er sich ein anderes, ebensogutes Bild einfallen lassen. Er öffnete den Mund, aber es kam nur ein leises Rülpsen heraus.
    »Was in drei Teufels Namen soll das heißen, du Balg?« rief sein Vater, der vor Zorn einen ganz roten Kopf hatte. Drohend kam er auf den jungen Ian zu, der unwillkürlich zurückwich und sich aufs Sofa plumpsen ließ.
    »Die da«, entgegnete er knapp. Er deutete auf mich, um klarzustellen, wen er meinte. »Die da! Du betrügst meine Mutter mit dieser dreckigen Hure, das meine ich.«
    Ian verpaßte seinem Sohn eine schallende Ohrfeige, so daß er der Länge nach auf das Sofa fiel.
    »Du Riesenhirsch!« sagte er empört. »Eine schöne Art, über deine Tante Claire zu reden, ganz zu schweigen von mir und deiner Mutter!«
    »Tante?« Der junge Ian starrte mich mit offenem Mund an. Er erinnerte mich dabei so sehr an ein Vögelchen, das um Futter bettelt, daß ich unwillkürlich lachen mußte.
    »Du bist heute morgen aufgebrochen, bevor ich mich vorstellen konnte«, sagte ich.
    »Aber du bist doch tot«, entgegnete er blöde.
    »Noch nicht ganz«, versicherte ich ihm. »Es sei denn, ich hole mir eine Lungenentzündung, weil ich hier in einem nassen Kleid herumsitze.«
    Mit großen, runden Augen betrachtete er mich.
    »Manche von den alten Frauen in Lallybroch sagen, daß du eine weiße Dame warst, vielleicht sogar eine Fee. Als Onkel Jamie ohne dich von Culloden heimkehrte, sagten sie, daß du vielleicht ins Feenreich zurückgekehrt wärst, aus dem du gekommen bist. Ist das wahr? Lebst du in einem Feenhügel?«
    Ich tauschte einen Blick mit Jamie, der die Augen rollte.
    »Nein«, sagte ich, »ich… ähm, ich…«
    »Sie ist nach der Schlacht von Culloden nach Frankreich geflohen«, mischte sich Ian plötzlich ein. »Sie dachte, dein Onkel Jamie
sei in der Schlacht gefallen, also ging sie zu ihren Verwandten nach Frankreich. Sie gehörte zu

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