Ferne Ufer
Prinz Tcharlachs Freunden - nach dem Krieg konnte sie nicht nach Schottland zurückkehren, ohne sich in große Gefahr zu begeben. Aber sobald sie erfuhr, daß dein Onkel gar nicht tot ist, schiffte sie sich ein und kam hierher, um ihn zu suchen.«
Der junge Ian hörte mit offenem Mund zu. Ich auch.
»Äh, ja«, bekräftigte ich Ians Bericht. »Genau so war es.«
Mit großen, glänzenden Augen sah der Junge erst mich, dann Jamie an.
»Also bist du zu ihm zurückgekehrt«, sagte er glücklich. »Mein Gott, ist das romantisch!«
Die Spannung fiel von uns ab. Ian zögerte, aber seine Augen wurden weich, als er Jamie und mich ansah.
»Aye«, sagte er und lächelte widerstrebend. »Aye, das ist es wohl.«
»Ich hätte gedacht, daß ich das frühestens in zwei bis drei Jahren miterlebe«, bemerkte Jamie, der seinem Neffen den Kopf hielt, während dieser sich gequält in den Spucknapf erbrach, den ich ihm unterhielt.
»Aye, er war schon immer seinem Alter voraus«, meinte Ian resigniert. »Er hat laufen gelernt, bevor er stehen konnte, und ist ständig ins Feuer oder in den Waschzuber oder in den Schweinetrog gestolpert.« Er klopfte seinem Sohn auf den Rücken. »Laß es raus, Junge.«
Der junge Ian sah aus wie ein Häufchen Elend, als er sich schließlich auf dem Sofa von den Auswirkungen des Feuers, seines Gefühlsausbruches und einer Überdosis Portwein erholen durfte. Vater und Onkel betrachteten ihn mit gemischten Gefühlen.
»Wo bleibt der verdammte Tee, den ich bestellt habe?« Jamie griff ungeduldig nach der Glocke, aber ich legte ihm die Hand auf den Arm.
»Reg dich nicht auf. Ich gehe runter und hole ihn.« Ich nahm den Spucknapf, trug ihn mit ausgestreckten Armen hinaus und hörte noch, wie Ian in vernünftigem Tonfall anfing: »Schau her, du Narr…«
Ohne Schwierigkeiten fand ich in die Küche und wurde dort mit
allem Nötigen versorgt. Ich hoffte, Jamie und Ian würden den Jungen ein paar Minuten in Ruhe lassen - nicht nur um seinetwillen, sondern auch, damit ich mitbekam, was er erzählte.
Offensichtlich hatte ich wirklich etwas versäumt. Als ich in den kleinen Salon zurückkehrte, war die Atmosphäre spannungsgeladen, und der junge Ian senkte rasch den Blick, als er mich sah. Jamie hatte wieder einmal seine undurchsichtige Miene aufgesetzt, aber Ian, der Ältere, war errötet und schien sich fast ebenso unbehaglich zu fühlen wie sein Sohn. Er eilte mir entgegen, um mir das Tablett abzunehmen, murmelte ein paar Dankesworte, vermied es aber, mir in die Augen zu sehen.
Ich warf Jamie einen fragenden Blick zu. Der lächelte mich verhalten an und zuckte mit den Achseln. Ich erwiderte das Achselzucken und nahm eine der Schalen von dem Tablett.
»Brot und Milch«, sagte ich und reichte sie dem jungen Ian, der sofort glücklicher aussah.
»Heißer Tee«, sagte ich und reichte seinem Vater die Kanne.
»Whisky«, sagte ich und reichte Jamie die Flasche, »und kalter Tee für die Verbrennungen.«
»Kalter Tee?« Jamie zog die Brauen hoch. »Hatte die Köchin denn keine Butter?«
»Verbrennungen behandelt man nicht mit Butter«, erklärte ich. »Aloesaft oder der Saft einer Banane, aber dergleichen hatte die Köchin nicht. Kalter Tee ist das Beste, was ich auftreiben konnte.«
Ich legte Umschläge auf die mit Bläschen bedeckten Hände und Unterarme des Jungen und betupfte sein dunkelrotes Gesicht mit teegetränkten Tüchern, während Jamie und Ian sich stärkten. Halbwegs wiederhergestellt, ließen wir uns alle nieder, um den Rest von Ians Geschichte zu hören.
»Ich bin ein wenig durch die Stadt spaziert und habe mir überlegt, was ich tun soll. Schließlich wurde mein Kopf ein bißchen klarer, und so habe ich mir gedacht, wenn der Mann, dem ich gefolgt war, die High Street hinunter von Taverne zu Taverne zog, so könnte ich ihn vielleicht finden, wenn ich die Tavernen in der Straße von unten her abklapperte.«
»Das war ein guter Einfall«, lobte Jamie, und Ian nickte zustimmend. »Hast du ihn gefunden?«
Der Junge nickte zögernd.
Er war die Royal Mile fast bis zum Holyrood Palace hinuntergerannt und hatte sich dann gewissenhaft die Straße hinaufgearbeitet und bei jeder Taverne haltgemacht, um nach dem Einäugigen mit dem Zopf zu fragen. Unterhalb von Canongate war jedoch nichts von dem Mann in Erfahrung zu bringen. Er wollte schon aufgeben, als er den Mann plötzlich in der Schankstube der Holyrood Brewery sitzen sah.
Ian hatte sich blitzschnell hinter einem großen Faß auf dem
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