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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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seinen Onkel an.
    »Ich wollte Papa nicht weh tun«, sagte er. »Das wollte ich nicht!«
    Jamie tätschelte gedankenverloren Ians Knie. »Ich weiß schon, mein Kleiner, aber ihm so etwas ins Gesicht zu sagen…«
    »Ich konnte es ihm aber nicht erzählen. Und dir muß ich es erzählen, Onkel Jamie!«
    Beim Tonfall des Jungen wurde Jamie plötzlich hellhörig.
    »Mir erzählen? Was willst du mir erzählen?«
    »Der Mann. Der Mann mit dem Zopf.«
    »Was ist mit ihm?«
    Ian leckte sich die Lippen und faßte Mut.
    »Ich glaube, ich habe ihn umgebracht«, wisperte er.
    Verblüfft sah Jamie erst mich und dann Ian an.
    »Wie das?« fragte er.
    »Na ja… ich habe vorhin ein bißchen gelogen«, begann Ian mit zittriger Stimme. »Als ich in die Druckerei ging - ich hatte doch den Schlüssel von dir -, war der Mann schon drin.«
    Der Seemann befand sich im Hinterzimmer der Druckerei, wo sich die frisch gedruckten Aufträge stapelten. Dort wurde auch die Druckerschwärze und das Löschpapier zum Reinigen der Presse aufbewahrt, und die kleine Esse, in der abgenutzte Typen eingeschmolzen und zu neuen Lettern gegossen wurden, stand ebenfalls dort.

    »Er nahm sich einige Flugblätter vom Stapel und steckte sie in seine Jacke«, sagte Ian. »Als ich ihn sah, schrie ich ihn an, er solle sie zurücklegen. Aber er wirbelte herum und hatte eine Pistole in der Hand.«
    Als die Pistole losging, jagte sie Ian zwar einen Höllenschreck ein, aber die Kugel verfehlte ihr Ziel. Unbeirrt stürzte sich der Seemann auf den Jungen, um ihn statt dessen mit der Pistole niederzuschlagen.
    »Mir blieb keine Zeit zum Nachdenken oder Weglaufen. Ich habe das erstbeste Ding, das mir in die Hände kam, genommen und nach ihm geworfen.«
    Das erstbeste Ding war der Bleischöpfer gewesen, mit dem man das geschmolzene Blei aus dem Schmelzkessel in die Gußform goß. Die Esse glühte noch, und obwohl das Feuer sorgsam mit Asche bedeckt war und der Schmelzkessel nur noch eine kleine Neige enthielt, waren dem Seemann einige glühende Bleitropfen aus dem Schöpfer ins Gesicht geflogen.
    »Mein Gott, der hat geschrien!« Ian erschauderte. Ich ging um das Sofa, setzte mich neben ihn und nahm seine Hände.
    Der Seemann hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, war zurückgetaumelt und hatte dabei die kleine Esse umgestoßen, so daß die glühenden Kohlen durch den Raum geschleudert wurden.
    »So ist der Brand entstanden«, sagte der Junge. »Ich versuchte ihn auszuschlagen, aber das Papier fing Feuer, und urplötzlich ging alles vor meinen Augen in Flammen auf.«
    »Die Fässer mit Druckfarbe wahrscheinlich«, meinte Jamie versonnen. »Das Pulver wird in Alkohol aufgelöst.«
    Stapel von brennendem Papier glitten zu Boden und versperrten Ian den Weg zum Hintereingang - eine Feuerwand, die schwarzen Rauch ausspuckte und ihn zu verschlingen drohte. Der blinde Seemann kauerte kreischend zwischen dem Jungen und der Tür zum vorderen Raum der Druckerei, wo er in Sicherheit gewesen wäre.
    »Ich… ich brachte es nicht über mich, ihn aus dem Weg zu stoßen«, sagte Ian und erschauderte wieder.
    Der Junge hatte völlig den Kopf verloren und war statt dessen die Treppe hinaufgerannt, doch oben saß er in der Falle, da die Flammen den Treppenschacht hinaufzüngelten und alsbald auch den ersten Stock mit beißendem Rauch füllten.

    »Bist du nicht auf die Idee gekommen, durch den Ausstieg aufs Dach zu klettern?« fragte Jamie.
    Ian schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich wußte nichts von der Luke.«
    »Warum gab es die überhaupt?« erkundigte ich mich neugierig.
    Ein Lächeln huschte über Jamies Gesicht. »Für den Notfall. Nur ein dummer Fuchs begnügt sich mit einem Ausgang aus seinem Bau. Obwohl ich sagen muß, daß ich nicht an Feuer dachte, als ich sie einbauen ließ.« Er schüttelte den Kopf und kehrte wieder zur eigentlichen Frage zurück.
    »Und du glaubst, der Mann ist verbrannt?« fragte er.
    »Ich wüßte nicht, wie er hätte entkommen sollen«, antwortete Ian, den Tränen nahe. »Wenn er tot ist, habe ich ihn umgebracht. Ich konnte Papa einfach nicht sagen, daß ich ein Mör- Mör-« Er schluchzte so heftig, daß er das Wort nicht über die Lippen brachte.
    »Du bist kein Mörder, Ian«, sagte Jamie mit fester Stimme und klopfte seinem Neffen auf die bebenden Schultern. »Hör auf jetzt, es ist schon gut - du hast nichts Unrechtes getan, Kleiner. Bestimmt nicht, hörst du?«
    Der Junge schluckte und nickte, konnte aber nicht aufhören zu weinen.

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