Ferne Ufer
gehört. Er war ein verwegener Soldat, hieß es, ein tapferer Gegner. Wahrscheinlich kommt ihm das jetzt zustatten, dem armen Mann.« Jamie hing noch eine Weile seinen Gedanken nach, dann stand er entschlossen auf.
»Wir haben noch viel zu tun, bevor wir Edinburgh verlassen. Ian, die Liste mit den Druckereikunden liegt oben auf dem Tisch. Hol sie runter, ich streiche dir diejenigen mit unerledigten Aufträgen an. Du mußt jeden einzelnen aufsuchen und ihnen eine Rückzahlung anbieten. Sofern sie nicht lieber warten, bis ich einen neuen Laden gefunden und mich mit Vorräten eingedeckt habe. Sag ihnen aber, daß das an die zwei Monate dauern kann.«
Er klopfte auf seine Rocktasche, und der Inhalt klimperte leise. »Gott sei Dank reicht das Versicherungsgeld, um den Kunden ihr Geld zu ersetzen. Es bleibt sogar noch ein wenig übrig. Und da fällt mir ein, Sassenach - du hast die Aufgabe, eine Schneiderin zu finden, die dir innerhalb von zwei Tagen ein anständiges Kleid näht. Das Kleid, das du anhast, wirst du Madame Jeanne wiedergeben müssen, und ich kann dich nicht nackt mit nach Hause nehmen.«
30
Das Treffen
Auf dem Ritt nordwärts nach Arbroath gab es vor allem einen Machtkampf zwischen Jamie und seinem Neffen Ian zu beobachten. Aufgrund langjähriger Erfahrung wußte ich, daß Halsstarrigkeit ein Charakterzug war, der alle Frasers auszeichnete.
Ich genoß das Schauspiel, das die beiden mir boten, und die Tatsache, daß Jamie in Ian wahrlich einen ebenbürtigen Gegner gefunden hatte. Jamie sah ziemlich mitgenommen aus.
Dieser Wettstreit zwischen dem unnachgiebigen Jamie und dem hartnäckig bohrenden Jungen dauerte bis zum Abend des vierten Tages an, wo wir Arbroath erreichten und feststellen mußten, daß es den Gasthof, in dem Jamie uns hatte zurücklassen wollen, nicht mehr gab. Nur eine eingestürzte Steinmauer und ein paar verkohlte Dachbalken zeugten noch von dem ehemaligen Anwesen, im übrigen war die Landstraße auf Meilen öde und verlassen.
Jamie betrachtete einige Zeit schweigend den Steinhaufen. Es lag auf der Hand, daß er uns nicht einfach auf einer einsamen, schlammigen Straße zurücklassen konnte. Ian war klug genug, seinen Vorteil nicht auszunutzen, und schwieg ebenfalls, obwohl seine magere Gestalt vor Eifer förmlich zitterte.
»Also gut«, meinte Jamie schließlich resigniert. »Ihr kommt mit. Aber nur bis an den Rand der Klippe - verstanden, Ian? Du paßt auf deine Tante auf.«
»Verstanden, Onkel Jamie«, erwiderte Ian verdächtig fügsam. Ich fing jedoch Jamies gequälten Blick auf und begriff, daß, wenn Ian auf die Tante aufpassen sollte, die Tante gleichzeitig auf Ian aufpassen mußte. Ich verbarg mein Lächeln und nickte gehorsam.
Die übrigen Männer trafen rechtzeitig nach Einbruch der Dunkelheit an den Klippen ein. Einige von ihnen kamen mir irgendwie
bekannt vor, aber die meisten nahm ich nur schemenhaft wahr - vor zwei Tagen war Neumond gewesen, und die schmale Mondsichel, die über dem Horizont aufging, war keine ausreichende Lichtquelle, so daß es hier nicht viel heller war als im Keller des Bordells. Niemand nannte seinen Namen, und die Männer, die Jamie begrüßten, gaben nur unverständliches Gemurmel von sich.
Eine Gestalt erkannte ich jedoch sofort: Auf dem Kutschbock eines großen, von Maultieren gezogenen Wagens sah ich Fergus, und neben ihm saß ein Wicht, der nur Mr. Willoughby sein konnte. Ihn hatte ich nicht mehr gesehen, seit er den geheimnisvollen Mann auf der Treppe des Bordells erschossen hatte.
»Heute abend hat er hoffentlich keine Pistole bei sich«, flüsterte ich Jamie zu.
»Wer?« Er spähte in die Dunkelheit. »Oh, der Chinese? Nein, niemand ist bewaffnet.« Bevor ich fragen konnte, warum nicht, hatte er sich entfernt, um beim Wenden zu helfen, so daß der Wagen Richtung Edinburgh losfahren konnte, sobald die Schmuggelware aufgeladen war. Ian strebte ebenfalls auf den Wagen zu, während ich meiner Aufgabe als Kindermädchen nachkam und mich an seine Fersen heftete.
Mr. Willoughby stand auf Zehenspitzen und kramte etwas aus dem Wagen hervor. Es war eine merkwürdig aussehende Laterne, die mit einer durchbrochenen Metallabdeckung und verschiebbaren Metallwänden versehen war.
»Ist das eine Blendlaterne?« fragte ich fasziniert.
»Aye«, antwortete Ian wichtigtuerisch. »Die Seitenwände bleiben geschlossen, bis wir draußen auf See das Signal sehen.« Er griff nach der Laterne. »Her damit, ich mache das - ich kenne das Signal.«
Mr.
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