Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Schwester. Sie hielt dem Blick stand.
    »Du verdienst es genauso wie er, Jamie. Nun geh schon.«
    Jamie preßte die Lippen hart aufeinander, und seine Nasenflügel bebten. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand.
    Jenny warf einen Blick auf Ian und mich, bevor sie sich zum Fenster wandte. Da wir beide ein gutes Stück größer waren als sie, stellten wir uns hinter sie. Die Abenddämmerung senkte sich rasch, doch es war noch hell genug, um den ermatteten Knaben zu erkennen, der, ungefähr zwanzig Meter vom Haus entfernt, mutlos an einem Holzgatter lehnte.
    Als er Schritte hörte, hob er den Kopf. Beim Anblick seines Onkels richtete er sich überrascht auf.
    »Onkel Jamie!« Als er den Riemen sah, wurde er noch ein bißchen größer. »Wirst du … mich auspeitschen?«
    Es war so still, daß ich sogar das Zischen hörte, mit dem Jamie die Luft einsog.
    »Darum komme ich wohl nicht herum«, sagte er offen. »Aber erst muß ich dich um Verzeihung bitten, Ian.«
    »Mich?« Der junge Ian klang verdutzt. Offensichtlich war er nicht daran gewöhnt, daß sich Ältere bei ihm entschuldigten, insbesondere kurz vor einer Tracht Prügel. »Aber das brauchst du doch nicht, Onkel Jamie.«
    Die größere Gestalt lehnte sich an das Tor und sah auf die kleinere hinunter.
    »Doch. Es war falsch von mir, dich in Edinburgh zu lassen, und vielleicht war es auch falsch, dir von meinem Leben zu erzählen und dich auf den Gedanken zu bringen wegzulaufen. Ich hätte dich lieber nicht überallhin mitnehmen sollen und habe dich vielleicht sogar in Gefahr gebracht. Wenn ich nicht wäre, hättest du nicht so großen Ärger mit deinen Eltern bekommen. Es tut mir leid, Ian, und ich bitte dich um Verzeihung.«
    »Oh.« Der Junge fuhr sich sprachlos durchs Haar. »Ja… gut. Natürlich, Onkel Jamie.«
    »Danke, Ian.«
    Sie standen eine Weile schweigend da, dann seufzte der Junge und straffte die Schultern.

    »Dann bringen wir es jetzt am besten hinter uns, oder?«
    »Ja.« Jamies Stimme klang mindestens so widerstrebend wie die seines Neffen. Ich hörte Ian neben mir schnauben, ob aus Entrüstung oder vor Vergnügen, konnte ich nicht sagen.
    Resigniert wandte sich der junge Ian mit dem Gesicht zum Tor. Jamie folgte zögerlich. Mittlerweile war es fast dunkel geworden, so daß man aus der Entfernung nur noch ihre Umrisse sah. Aber man hörte jedes Wort. Jamie hatte sich hinter seinen Neffen gestellt, unsicher, was er als nächstes tun sollte.
    »Mmmpf. Und wieviel… dein Vater…«
    »Normalerweise zehn, Onkel«, sagte Ian über die Schulter. Nachdem er seinen Rock abgelegt hatte, nestelte er an seinem Gürtel. »Zwölf, wenn’s ziemlich schlimm ist, und fünfzehn, wenn es ein wirklich schreckliches Vergehen ist.«
    »War es diesmal nur schlimm oder ziemlich schlimm?«
    Der Junge lachte kurz und unwillig auf.
    »Wenn Vater es dir aufträgt, ist es ein wirklich schreckliches Vergehen, aber ich stimme für ziemlich schlimm. Gib mir lieber zwölf.«
    Wieder hörte ich Ian schnauben. Diesmal klang es eindeutig amüsiert. »Ehrlicher Bursche«, murmelte er.
    »In Ordnung.« Nachdem Jamie tief Luft geschöpft hatte, holte er zum ersten Schlag aus. Da unterbrach Ian ihn.
    »Warte, Onkel, ich bin noch nicht ganz soweit.«
    »Mußt du das unbedingt tun?« Jamies Stimme klang belegt.
    »Aye. Vater sagt, nur Mädchen dürfen die Röcke anbehalten, wenn sie ausgepeitscht werden«, erklärte der Junge. »Männer müssen es mit nacktem Hintern über sich ergehen lassen.«
    Nachdem die Vorbereitungen abgeschlossen waren, trat Jamie einen Schritt zurück und holte aus. Man vernahm einen lauten Hieb, den Jenny stöhnend mitfühlte.
    Abgesehen von einem tiefen Atemzug, tat der Knabe nicht einen Muckser, bis die Prozedur zu Ende war. Mir wurde flau dabei.
    Schließlich ließ Jamie den Riemen sinken und wischte sich über die Stirn. Er streckte eine Hand nach Ian aus, der über dem Zaun lehnte. »Alles in Ordnung, Junge?« Der junge Ian richtete sich mühsam auf und zog seine Kniehosen hoch. »Aye, Onkel. Danke.« Seine Stimme klang ein wenig belegt, aber ruhig und gefaßt. Er ergriff
Jamies Hand. Anstatt den Jungen zurück ins Haus zu führen, reichte Jamie ihm den Riemen.
    »Du bist dran«, sagte er, ging zum Tor und beugte sich vornüber.
    Ian war ebenso entsetzt wie wir.
    »Was?« rief er fassungslos.
    »Du bist dran, habe ich gesagt«, wiederholte sein Onkel mit fester Stimme. »Erst hab’ ich dich bestraft. Jetzt versohlst du mich.«
    »Das kann

Weitere Kostenlose Bücher