Ferne Ufer
hast«, stieß er eigensinnig hervor. Seine weichen braunen Augen loderten. Ich funkelte zurück. Mir blieb nur die Wahl, ihn umzureiten oder ihm zuzuhören.
Na gut, entschied ich schließlich, nützen würde es ihm oder seinem betrügerischen Onkel ohnehin nicht, also konnte ich ihm auch zuhören.
»Red schon«, sagte ich unter Aufbietung größtmöglicher Geduld.
Geräuschvoll atmete er ein und straffte die Schultern.
»Tja«, hob er unsicher an. »Es… ich… er…«
Ich räusperte mich unwillig. »Fang einfach von vorne an, aber red’ nicht drumherum, klar?«
Er nickte und konzentrierte sich.
»Nachdem du weg warst, ist Onkel Jamie zurückgekommen. Da war dann die Hölle los«, begann er.
»Kann ich mir gut vorstellen«, sagte ich. Unwillkürlich verspürte ich Neugierde, aber ich unterdrückte sie und täuschte absolutes Desinteresse vor.
»So wütend habe ich Onkel Jamie noch nie gesehen«, sagte der Junge, während er mich aufmerksam beobachtete. »Und die Mutter auch nicht. Sie haben sich gestritten, daß die Fetzen flogen. Selbst der Vater konnte sie nicht beruhigen. Sie hörten ihn nicht einmal. Onkel Jamie hat Mutter einen alten Besen geschimpft, weil sie sich in alles einmischt… und noch viel Schlimmeres…« fügte er errötend hinzu.
»Er hätte seine Wut aber nicht an Jenny auslassen dürfen«, sagte ich. »Sie wollte nur helfen, glaube ich.« Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, daß ich diese Auseinandersetzung heraufbeschworen hatte. Jenny war Jamie seit dem frühen Tod der Mutter eine Stütze gewesen. Was hatte ich mit meiner Rückkehr denn noch alles angerichtet?
Doch zu meiner Verwunderung grinste Jennys Sohn. »Sie mußte allerdings nicht nur einstecken«, meinte er trocken. »Meine Mutter
läßt sich nichts gefallen. Onkel Jamie hat auch sein Fett abbekommen. Ich dachte tatsächlich, sie schlagen sich tot. Als Mutter mit einem Backblech auf ihn losging, hat er es ihr aus der Hand gerissen und zum Küchenfenster hinausgeworfen. Da sind die Hühner vielleicht gerannt«, fügte er schmunzelnd hinzu.
»Vergiß die Hühner, Ian, erzähl weiter. Ich möchte mich auf den Weg machen«, sagte ich.
»Dann hat Onkel Jamie das Bücherregal im Salon umgerissen. Aber nicht absichtlich - er war einfach blind vor Zorn. Als er hinauslief, hat der Vater ihm hinterhergerufen, wohin er wolle. Dich suchen, hat er geantwortet.«
Der Junge seufzte. »Gerade als Onkel Jamie losreiten wollte, kam seine Fr…« - er wurde puterrot - »kam Laoghaire in den Hof.«
Jetzt konnte ich mich nicht länger gleichgültig stellen.
»Und?«
Er runzelte die Stirn. »Da ging’s erst richtig los. Ich hab’ nicht viel verstanden. Die Tante… ich meine Laoghaire, hat keine Ahnung, wie man richtig streitet, so wie meine Mutter und Onkel Jamie. Sie weint und jammert nur. Mama sagt, sie greint.«
»Mmmpf«, bemerkte ich. »Weiter.«
Kaum war Laoghaire abgesessen, hatte sie Jamie am Bein gepackt und ihn mehr oder weniger vom Pferd gezogen, berichtete Ian. Dann hatte sie sich auf den Boden geworfen, Jamies Knie umklammert und geklagt und gewimmert, wie es ihre Art war.
Da er nicht flüchten konnte, hatte Jamie sie schließlich auf die Füße gezogen und sie ins Haus und die Treppe hinaufgetragen. Die erstaunten Blicke der anderen hatte er ignoriert.
»Aha.« Ich merkte, daß ich die Zähne fest zusammengebissen hatte. »Das heißt, er hat dich hinter mir hergeschickt, weil er mit seiner Frau zu beschäftigt ist. Bastard! Zur Hölle mit ihm! Er denkt wohl, er braucht bloß nach mir schicken zu lassen, als wäre ich eine Magd, nur weil es dem gnädigen Herrn gerade nicht in den Kram paßt, selbst zu kommen? Dieser hochnäsige, eigennützige, herrschsüchtige… Schotte!« Abgelenkt von der Vorstellung, wie Jamie Laoghaire die Treppe hochtrug, war »Schotte« das schlimmste Schimpfwort, das mir auf die schnelle einfiel.
Ich umklammerte den Sattelknauf, bis die Knöchel weiß hervortraten.
Vergessen war jegliche Zurückhaltung. Ich streckte die Hand nach den Zügeln aus.
»Laß los.«
»Aber, Tante Claire, das ist es doch noch gar nicht!«
»Was soll das heißen?« Durch den verzweifelten Ton in seiner Stimme aufmerksam geworden, blickte ich ihn an.
»Onkel Jamie ist nicht nach oben gegangen, um sich um Laoghaire zu kümmern.«
»Warum hat er dann dich hinter mir her geschickt?«
Er holte tief Luft und nahm die Zügel erneut fest in die Hand.
»Sie hat auf ihn geschossen. Er hat mich geschickt, weil er im
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