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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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ausgeliefert.

    Sein Ehrgefühl hatte Frank zu der Entscheidung, sich nicht von mir zu trennen und Brianna als seine Tochter anzunehmen, bewogen. Ehrgefühl und das Widerstreben, eine Verantwortung abzuschütteln. Und nun lag hier vor mir ein anderer ehrenhafter Mann.
    Wieviel Verantwortung hatte Jamie in den Jahren unserer Trennung neben der Sorge um Laoghaire und ihre Töchter, Jenny und ihre Familie, die schottischen Gefangenen, die Schmuggler, um Mr. Willoughby und Geordie, Fergus und die Pächter noch übernommen?
    Franks Tod hat mich von einer meiner Verpflichtungen entbunden, Brianna selbst von einer anderen. Das Direktorium des Krankenhauses hatte mich in seiner unendlichen Weisheit von der einzigen noch verbliebenen Verantwortung freigesprochen, die mich an jenes Leben gebunden hatte. Mit Joe Abernathys Hilfe hatte ich Zeit gehabt, mich meiner unwichtigeren Aufgaben zu entledigen, sie zu delegieren und aufzuteilen.
    Jamie war weder gewarnt worden, noch hatte er wählen können. Es war ihm nicht möglich gewesen, vor meinem erneuten Auftauchen Entscheidungen zu treffen oder Konflikte aus der Welt zu schaffen. Und er war kein Mensch, der seine Pflichten vernachlässigte, selbst wenn Liebe im Spiel war.
    Ja, er hatte mich angelogen. Er hatte nicht geglaubt, daß ich seine Pflichten anerkennen und zu ihm stehen - oder ihn verlassen - würde, je nach dem, was die Umstände erforderten. Er hatte Angst gehabt. Genau wie ich. Ich hatte Angst, er könnte sich nicht für mich entscheiden, wenn er zwischen einer zwanzig Jahre alten Liebe und seiner jetzigen Familie wählen mußte. Deshalb war ich weggelaufen.
    »Wem willst du was vormachen, Lady?« hörte ich Joe Abernathy mit spöttischer und zugleich liebevoller Stimme fragen. Ich war im selben Tempo zum Steinkreis geeilt wie ein Verurteilter zu seiner Exekution. Was hatte mich wohl aufgehalten wenn nicht die Hoffnung, daß Jamie mir folgen würde?
    Sicher, Gewissensbisse und gekränkter Stolz hatten mich angetrieben, aber als der junge Ian sagte: ›Er liegt im Sterben‹, erkannte ich, wie fadenscheinig das alles war.
    Die Ehe mit Jamie war, als wäre ein Schlüssel in mir umgedreht worden. Mit jeder Drehung kam ich mir ein Stück näher. Auch Brianna
wußte diesen Schlüssel zu betätigen. Dennoch fehlte die letzte Drehung, das Schloß wollte nicht aufspringen - bis zu dem Augenblick, als ich die Druckerei in Edinburgh betrat. Dort wurde das Schloß mit einer entscheidenen letzten Umdrehung aufgesperrt. Jetzt war die Tür angelehnt. Durch den Spalt fiel der Schein einer ungewissen Zukunft. Doch diese Tür ganz aufzustoßen erforderte mehr Kraft, als ich allein besaß.
    Als ich sah, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, und ich das Spiel von Licht und Schatten auf den kräftigen, klaren Gesichtszügen betrachtete, wußte ich, daß nichts wirklich zählte außer der Gewißheit, daß wir beide immer noch lebten. Ich war also wieder hier. Wie teuer es ihn oder mich auch zu stehen kommen mochte, ich würde bleiben.
    Erst als er zu sprechen begann, bemerkte ich, daß er die Augen geöffnet hatte.
    »Du bist also zurückgekommen«, sagte er leise. »Ich wußte es.«
    Ich wollte etwas erwidern, aber er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, denn er sah mich eindringlich an.
    »Liebste«, flüsterte er, »mein Gott, wie schön du bist. Deine Augen sind wie Gold, und dein Haar fällt weich um dein Gesicht.« Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ich wußte, du würdest mir vergeben, Sassenach, wenn du es erfährst.«
    Wenn ich es erfahre? Ich runzelte die Brauen, sagte aber nichts. Er war noch nicht fertig.
    »Ich hatte so große Angst, dich wieder zu verlieren, mo chridhe« , murmelte er. »So große Angst. Ich habe immer nur dich geliebt, Sassenach, vom ersten Tag an… aber ich konnte es nicht ertragen…«
    Seine Stimme verebbte zu einem unverständlichen Gemurmel, und er schloß erneut die Augen.
    Ich blieb still sitzen und überlegte, was ich tun sollte. Da öffnete er wieder die Augen. Schläfrig, die Lider schwer vom Fieber, suchten sie mein Gesicht.
    »Nicht mehr lang, Sassenach«, meinte er, als wollte er mich beruhigen. Er rang sich ein Lächeln ab. »Nicht mehr lang, und ich werde dich wieder berühren. Ich sehne mich so sehr nach dir.«
    »Ach, Jamie«, sagte ich. Voll Zärtlichkeit streckte ich die Hand aus und legte sie auf seine Wange.

    Erschrocken riß er die Augen auf. Wie von der Tarantel gestochen, schoß er hoch und stieß einen

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