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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Tierkörper um. Kraftvoll und zugleich behutsam ritzte er den Leib auf. Er schob die Hände in das heiße, schlüpfrige Innere, und mit einem weiteren Ruck beförderte er den Sack mit den Innereien ins Freie. Ein Schnitt oben und einer unten, und die Masse glitt herab. So verwandelte man einen stolzen Hirschen in ein Stück Fleisch.
    Trotz seines ansehnlichen Geweihs war das Tier nicht besonders groß. Mit etwas Glück würde Jamie es tragen können, statt es den Füchsen und Dachsen zu überantworten, bis er Hilfe geholt hatte. Jamie schob sich eins der Beine über die Schultern und richtete sich
langsam auf. Als er das Gewicht auf dem Rücken zurechtrückte, stöhnte er vor Anstrengung.
    Das Mondlicht warf seine bizarren Umrisse auf die Felsen, als er schwerfällig den Abhang hinunterstolperte. Das Hirschgeweih verlieh seinem Schatten die Gestalt des Gehörnten. Jamie schauderte bei dem Gedanken, denn man erzählte sich, daß sich der Leibhaftige beim Hexensabbat zeigte, um das Blut der geopferten Ziege oder des Hahns zu trinken.
    Seine Knie wollten ihn kaum noch tragen, und in seinem Kopf drehte sich alles. Im Lauf der Zeit hatte sich sein Bezug zur Wirklichkeit immer weiter aufgelöst. Bei Tag war er ein Geschöpf des Geistes, entfloh er der erzwungenen Untätigkeit in die Welt der Gedanken und Betrachtungen, suchte Zuflucht bei Büchern. Doch sobald der Mond aufging und er aus der Höhle an die frische Luft trat, nahm er die Welt mit den Sinnen in sich auf, lief unter dem Sternenhimmel über die dunkle Erde, getrieben von Hunger, trunken von Blut und Mondlicht.
    Trotz der schweren Last wanderte er stetig voran; er war es gewohnt, in der Dunkelheit seinen Weg zu finden.
    Erst als die Lichter des Gutshauses in sein Blickfeld rückten, fühlte er sich wieder Mensch werden, und sein Geist und Körper wurden eins. Dann nahm er seine Kraft zusammen, um seine Familie zu begrüßen.

5
    Denn uns ist ein Kind geboren
    Drei Wochen später hatte die Familie immer noch nichts von Ian gehört. Fergus war seit mehreren Tagen nicht mehr zur Höhle gekommen, und so wurde Jamie von einer fast schon unerträglichen Sorge um seine Angehörigen im Gutshaus geplagt. Wenn Jenny nichts mehr zu essen aufgetrieben hatte, war der Hirsch sicher schon seit Tagen aufgebraucht, bei den vielen Mäulern, die es zu stopfen galt. Und in dieser Jahreszeit gab nicht einmal der Gemüsegarten etwas her.
    Seine Sorge war so groß, daß er einen vorzeitigen Besuch wagen, noch vor Sonnenuntergang aus den Hügeln herabsteigen und unterwegs nach seinen Schlingen sehen wollte. Für alle Fälle zog er seine braune, aus grobem Garn gestrickte Mütze über den Kopf, damit sein Haar nicht unter einem verirrten Sonnenstrahl aufleuchtete. Allein schon seine auffällige Größe erregte Verdacht. Doch er vertraute auf die Kraft seiner Beine. Sollte er tatsächlich auf eine englische Patrouille stoßen, würde er einfach die Flucht ergreifen. Rechtzeitig gewarnt, hätte Jamie Fraser bei einer Verfolgungsjagd in der Heide leichtes Spiel.
    Als er sich dem Anwesen näherte, kam es ihm ungewohnt ruhig vor. Kein Lärm von den Kindern - Jennys fünf und die sechs Rangen der Pächter, ganz zu schweigen von Fergus und Rabbie MacNab, die längst noch nicht zu alt waren, um sich kreischend durch die Ställe zu jagen.
    Abwartend blieb Jamie in der Tür stehen. Das Haus wirkte leer. Er befand sich am Hintereingang, hatte die Vorratskammer auf der einen Seite, die Spülküche auf der anderen und die geräumige Küche vor sich. Gespannt lauschte er, während er den überwältigenden Duft des Hauses in sich aufnahm. Nein, da war etwas. Aus
der Küche kam ein leises Rascheln, gefolgt von einem regelmäßigen Scheppern.
    Da es sich nach einer vertrauten häuslichen Arbeit anhörte, stieß er vorsichtig, aber nicht besonders ängstlich, die Tür auf. Seine Schwester Jenny stand am Tisch und rührte in einer gelben Schüssel.
    »Was machst du da? Wo ist Mrs. Crook?«
    Mit einem erschreckten Schrei ließ Jenny den Löffel fallen.
    »Jamie!« Sie war kreidebleich, preßte die Hand an die Brust und schloß die Augen. »Du meine Güte! Mir wäre fast das Herz stehengeblieben!« Sie öffnete die Augen, die ebenso blau leuchteten wie seine, und musterte ihn durchdringend. »Und was um alles in der Welt machst du hier? Ich hätte dich frühestens in einer Woche erwartet.«
    »Weil Fergus nicht mehr zur Höhle gekommen ist, habe ich mir Sorgen gemacht«, antwortete er schlicht.
    »Du bist

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